Der Markt der Lokführer

Nun hat das Nürnberger Arbeitsgericht aktenkundig gemacht, dass bei einem Streik der vergleichsweise kleinen Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) die doch angeblich so potente deutsche Wirtschaft mit großem Getöse zusammenzubrechen Gefahr läuft. Im Falle des Streiks drohten, so die Arbeitsrichter, die sich voll auf die Linie der Bahn begaben, »der gesamten Volkswirtschaft insbesondere in der Hauptreisezeit immense wirtschaftliche Schäden«, die sogar als »irreversibel« bezeichnet wurden. Der Vorgang ist insofern bezeichnend, als sich hiermit ein Gericht voll und ganz auf die Seite der Arbeitnehmer schlägt, obwohl doch die Lokführer nichts anderes tun als es Unternehmer aller Sparten schon immer taten – nämlich konsequent und gnadenlos nach den Regeln der Marktwirtschaft zu handeln.

Denn natürlich nutzen die Lokomotivführer ihre (noch) ziemlich starke Marktposition aus, um höchstmöglichen Gewinn daraus zu ziehen. Sie haben erkannt, dass sich Sentimentalitäten weder gegenüber den Bahnkunden und schon gar nicht gegenüber den Konzernen, die Güterzüge zu rollenden Lagerhallen machten, in barer Münze auszahlen, sondern dass sie ihre Gehälter nur dadurch erhöhen können, dass sie ihre weitgehende Unersetzlichkeit ausspielen. Sie tun damit aber nichts anderes als es in der immer weniger sozial gebändigten Marktwirtschaft schon seit langem üblich ist.

Oder ist es etwas grundsätzlich anderes, wenn eine Firma ihre Produktion ins Ausland verlagert, dorthin, wo die Löhne niedriger und die Gewinne dadurch umso größer sind? Oder wenn man ausländische und damit billigere Arbeitskräfte heranschafft, die die teureren deutschen ersetzen. In beiden Fällen folgen auf die »Optimierungsmaßnahmen« der Konzerne Entlassungen hierzulande – oft in erheblichen Größenordnungen. Doch die »immensen Schäden« für die Betroffenen interessieren niemanden – und seien sie noch so »irreversibel«. Auch wenn ein Unternehmen – wie jüngst die Telecom – kurzerhand die Gehälter kürzt und die Arbeitzeit erhöht, regt das niemand von jenen auf, die jetzt – ob Wirtschaft, Politik, wirtschaftsnahe und damit die Mehrheit der Medien und nun auch die Justiz – Zeter und Mordio schreien.

Jene, die über Jahre hinweg die Flächentarifverträge Schritt für Schritt aushöhlten, um auf diese Weise die Belegschaften einzelner Unternehmen besser gegeneinander ausspielen zu können, sind jetzt empört, wenn eine kleine Gewerkschaft einmal den Spieß umdreht und für sich einen eigenen Tarifvertrag fordert, der ihr Vorteile gegenüber anderen Beschäftigten verschafft. Natürlich ist das unsolidarisch, aber letztlich nur das Nachvollziehen von Praktiken, die die Unternehmen den Gewerkschaften vormachten. Was bei den Arbeitgeberverbänden auf weitgehende Zustimmung stieß, wird bei der GdL zum Sündenfall. Was sonst achselzuckend und oft höhnisch als Gesetz der Marktwirtschaft gepriesen wird, soll auf einmal ein Vergehen gegen das »Gemeinwohl« sein, ein Gemeinwohl also, das der Unternehmer in der Regel etwas verkürzt versteht – eben als »mein Wohl«.