Seit einigen Wochen erlebt die »Berliner Zeitung«, womit sie seit den 90er Jahren wiederholt heimgesucht wurde – eine Anti-Stasi-Säuberungsaktion. Hintergrund heute wie damals der verschärfte Konkurrenzkampf auf dem Berliner Zeitungsmarkt, nicht ausgeschlossen, dass auch diesmal andere Interessen als die »Verantwortung gegenüber dem Leser«das Handeln bestimmen, zumal der Letztere, wie die Leserbriefseiten ausweisen, erheblich geteilter Meinung über das Remake mit dem alten Drehbuch ist. Hinzu kommt, dass zwar die Betroffenen andere als damals sind, sonstige Akteure sich jedoch umgehend zurück meldeten und auf die Vergesslichkeit der Redakteure hofften. Es mag daher zum Verständnis der Vorgänge hilfreich sein, einen Zeitungsartikel aus damaligen Zeiten zu rekapitulieren; denn seine Hauptperson ist Johannes Weberling, der auch heute wieder an der Spitze der Kampagne steht. Damals jedenfalls agierte er – vorsichtig ausgedrückt – im Grenzbereich der Legalität, was er seinerzeit vehement – auch durch die Anrufung der Gerichte, die ihm aber nicht so recht folgen mochten – bestritt, heute aber sogar als »unklug« einräumt. Kein Wunder also, dass ihm etliche Redakteure der »Berliner Zeitung« wenig trauen und seine neueste Variante, gesetzliche Regelungen – diesmal durch freiwillige Preisgabe ihrer Akten – zu umgehen, strikt ablehnen. Im folgenden der damalige Text, der am 09. 10. 1997 im »Neuen Deutschland« erschien.
Ostzeitungen
Wehrhafte »Tendenzschützer« und ein ignoranter Erich Böhme
Wie der Verlag Gruner+Jahr seine Tageszeitungen in Berlin und Dresden »stasifrei« machen will
Von Sebastian Thurm
Als Personalchef der »Berliner Zeitung« kam Johannes Weberling mit der »Stasisäuberung« der Redaktion nicht schnell genug voran. Da besann er sich auf die Freiheit der Wissenschaft.
In einer Studie der Technischen Universität Dresden über die Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit auf SED-Bezirkszeitungen findet sich unter anderen der Name Peter Venus als Stasi-IM. Ohne lange Diskussionen wollte das zum Hamburger Verlagshaus Gruner+ Jahr gehörende Unternehmen dem langjährigen Vorsitzenden des Betriebsrates der »Berliner Zeitung« im Frühjahr fristlos kündigen – ein Verlangen, das vor dem Arbeitsgericht keinen Bestand hatte.
Aber die Saubermänner vom Alexanderplatz ließen nicht locker. Sie gaben eine Meinungsumfrage unter ihren Lesen in Auftrag, nach der die Suggestivfrage, ob sie das Blatt noch lesen würden, wenn sie wüssten, dass einige Redakteure früher IM der Staatssicherheit waren, 46,6 Prozent bejahten, aber 26,9 Prozent verneinten. Letzteres betrachtete die Geschäftsführung der »Berliner« offensichtlich als Auftrag und kündigte Venus erneut. In ihrer Begründung sprach sie zwar nicht vom »Parteibetrieb« – das heißt jetzt »Tendenzbetrieb«, und was man unter Tendenz zu verstehen hat, erläuterte der Leiter der Rechtsabteilung der »Berliner Zeitung«, Christian Stenz, kürzlich auf einer Veranstaltung der Berliner Gauck-Behörde so: »Wir stehen auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wozu gehört, die Stasi als Instrument des DDR-Unrechtssystems kritisch zu betrachten.« Und als Beleg führte er die redaktionellen Kampagnen in Sachen Stolpe und Gysi an; der frühere Personalchef der »Berliner Zeitung«, Johannes Weberling, ergänzte stolz: »Wir waren die einzigen, die Prozesse gegen Gysi gewonnen haben.«
Einen kleinen Erfolg gegen Venus erzielte die Zeitung am gestrigen Mittwoch. Da scheiterte Peter Venus beim Arbeitsgericht mit seinem Ersuchen, gegen die jüngste Kündigung eine einstweilige Verfügung auszusprechen. Das Gericht meinte, die Kündigung sei nicht offensichtlich unwirksam – nur das war in diesem Verfahren zu klären. Die endgültige Entscheidung wird ein Hauptverfahren bringen. Offenbar zeigte sich das Gericht beeindruckt von den Argumenten des Personalchefs Stenz. Dessen Anwalt klagte, die Bemühung der Zeitung, »mit neuem Layout und weitergehenden Inhalten« die Hauptstadtzeitung oder vielleicht mehr zu werden, sei durch die Anwesenheit von IM gefährdet. Deshalb könne man Venus »keinen Tag länger beschäftigen«. Stenz selbst erklärte am Rande der Verhandlung, natürlich gehe es darum, dass Venus für ein Unrechtsregime gespitzelt habe. Noch vor wenigen Tagen hatte er allerdings in einem Brief an den Betriebsrat geschrieben, es sei »zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erwiesen«, ob Venus Kollegen bespitzelt hat. Solche Widersprüche veranlassten Venus‘ Verteidiger zu der Schlussfolgerung, das Unternehmen wolle vor allem »einen Betriebsrat aus dem Betrieb drängen«.
Venus bestreitet, andere bespitzelt zu haben. Ihm sei es darum gegangen, auf Fehlentwicklungen in der DDR hinzuweisen und ihre negativen Auswirkungen zu beschreiben. Etwas anderes sagt nicht einmal die Dresdner Studie. Der dürre Text schließt mit dem Urteil, die Berichte von Venus »bezeugen die immer unhaltbareren politischen Zustände allgemein und speziell der Informationspolitik in den letzten Jahren der DDR«, Eine Berliner Arbeitsrichterin konnte in einem früheren Verfahren nicht sehen, inwieweit das gegen den Betriebsrat spricht.
Datenschutz-Hürden umgangen
Details jedoch interessieren Weberling, der zu Venus‘ Amtszeit gegen ihn manche tarif- wie arbeitsrechtliche Auseinandersetzung verloren hatte, nicht, Die genannte Studie, die von ihm initiiert wurde, diente denn auch weniger der wissenschaftlichen Erforschung des Zusammenspiels von Staatssicherheit und DDR-Medien als der Jagd nach Journalisten, die nach seiner Auffassung in einer »wehrhaften Demokratie« keinen Platz haben dürfen. Erich Böhme hatte bei seinem Dienstantritt als Herausgeber der »Berliner Zeitung« sinngemäß verkündet, ihn interessierten nicht die Leichen im Keller, sondern wie die Redakteure heute recherchierten und schrieben, weshalb er jegliche Stasijagd ablehnte. Mit dem forschen Personalchef wollte das Hamburger Management wohl den prominenten Herausgeber auf Gegenkurs bringen. Weberling war einst Bundesvorsitzender des Rings christlich-demokratischer Studenten und schien wohl gerade deshalb dem der CDU stark zugeneigten Gruner+Jahr-Chef Gerd Schulte-Hillen dafür geeignet.
Zur Jahresmitte 1993 hatte es in Hamburg einen Beschluss – den man aber wohl nicht »Operativplan« nannte – gegeben, der auf die »Säuberung« der G+J-Töchter im Osten zielte. Weberling gründete sofort einen »Historischen Arbeitskreis«, der sich bei der »Berliner Zeitung« dieser Aufgabe widmen sollte, aber dieser würde – so berichtete er empört – »verboten«, von Böhme und Geschäftsführer Niehaus.
Daraufhin verfiel der umtriebige Rechtsanwalt, der seinerzeit in einem juristischen Kommentar dargelegt hatte, wie das Stasi-Unterlagengesetz zu verstehen und anzuwenden sei, auf einen neuen Trick, mit dem er sich kürzlich in aller Öffentlichkeit selbst rühmte: Die Datenschützer hätten alles getan, um im Stasi-Unterlagengesetz die Offenlegung der Täter zu verhindern. Doch er habe sich gesagt: »Nun macht mal schön, aber es gibt auch noch die Paragraphen 32 bis 34, und die sprechen von Presse- und Wissenschaftsfreiheit.« Über diesen Weg sei es möglich, die gesetzlichen Datenschutz-Hürden zu überwinden.
Außerhalb der Legalität
In Professor Ulrich Kluge vom Dresdener Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte fand Weberling auch schnell einen geeigneten »Forscher«. Immerhin war der einmal sein Doktorvater. Anfang dieses Jahres legte Kluge die genannte Studie vor. Sie enthielt zu Inhalt und Methoden des MfS kaum Neues, dafür aber Namen und Aktivitäten von IM bei »Berliner Zeitung«, »Sächsischer Zeitung« und »Märkischer Oderzeitung«. Weberling arbeitete in dieser »Forschungsgruppe« mit, obwohl er damals noch Personalchef am Alexanderplatz war.
Damit bewegte er sich etwas außerhalb der Legalität, denn Privatunternehmen ist der Zugriff auf das Gauck-Archiv nicht ohne weiteres gestattet. Und deshalb konnte er mit seinen Erkenntnissen zunächst wenig anfangen, was ihn, wie er nun bekannte, in höllische Gewissensnöte versetzte »Vier Monate lang konnte ich mein Wissen nicht offenbaren.« Dann aber verließ er den Berliner Verlag, arbeitete pro forma wieder als Rechtsanwalt und wurde Geschäftsführer des »Magazin«. Vor allem aber konnte er nun sein Wissen offenbaren. Und in der »Berliner Zeitung« war man dafür inzwischen empfänglich.
Erich Böhme hatte sich als Herausgeber verabschiedet. Sein Nachfolger Dieter Schröder von der »Süddeutschen Zeitung« und der österreichische Chefredakteur Michael Maier begannen das Blatt auf Westkurs zu trimmen. Dazu musste es »stasifrei« werden – ein Ziel, das im Unterschied zu anderen erreicht wurde. »Keiner der Journalisten, die in der Studie erwähnt werden, ist heute noch für die ›Berliner -Zeitung‹ schreibend tätig«, meldete Stenz Erfüllung des Auftrags. Tatsächlich ist überhaupt keiner mehr dort tätig – abgesehen vom schwebenden Verfahren Peter Venus.
Etwas anders ist man bei der »Sächsischen Zeitung« verfahren. Diese löste die MfS-Frage am Ende einvernehmlich mit der Behörde des Landesbeauftragten für Stasiunterlagen, Siegmar Faust. Vier Journalisten konnten weiter beschäftigt werden, nachdem die Faust-Behörde mit Einwilligung der Betroffenen Akteneinsicht genommen und Bewertungen verfasst hatte. Die Geschäftsführung hatte dieses Vorgehen selber gewünscht, um zum Teil langwährende Beurlaubungen und vielfältige Verdächtigungen zu einem geregelten Ende zu bringen. Zuvor hatte sich der Verlag bereits mit Aufhebungsverträgen und Abfindungen von einer Reihe von Kollegen getrennt, die als belastet bezeichnet wurden, und dies auch öffentlich bekanntgegeben.
Der »Schönheitsfehler« dabei: Kluges Akteneinsicht war zwar laut Gesetz für Forschungszwecke zulässig. Deren unmittelbare Nutzung für arbeitsrechtliche Konsequenzen in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen ist jedoch laut Fausts Referent Kai-Michael Schultz »eindeutig illegal«. Sachsens Datenschutzbeauftragter Thomas Giesen schlug daher vor, »eine Strafanzeige gegen Weberling zu überlegen«. Allerdings sei dies eine rein persönliche Meinungsäußerung hinter verschlossener Tür gewesen, sagte Giesen gegenüber ND. Denn »wie sich die Privatwirtschaft verhält, ist nicht mein Bier«.
Ergebnisse eher enttäuschend
Auch sonst ist das Resultat der Dresdner Forschungen für Weberling eher enttäuschend. Weder in der Berliner noch in der Dresdner Bezirkszeitung fand er IM in Größenordnungen. »Die prinzipielle Loyalität der meisten Journalisten gegenüber Partei und Staat ersparte dem MfS bei der eigentlichen Sicherung der ›Berliner Zeitung‹ einen größeren Aufwand«, heißt es inder Studie. »Bei ca. 110 Redaktionsangehörigen einer Zeitung, die zu den wichtigsten Berlins gehörte«, waren nur drei IM bei der zuständigen Abwehrabteilung verpflichtet. Andere arbeiteten zwar für andere MfS-Berelche, doch »lieferten lediglich zwei auch Berichte zu innerredaktionellem Geschehen«. Ähnlich war es bei der »Sächsischen Zeitung«.
Johannes Weberling fleht das nicht an: Die umstrittene Studie soll Anfang 1998 veröffentlicht werden. Wo immer er kann, ruft er zur Mitwirkung an der Stasijagd in den Redaktionen auf. »Ob es manchem passt oder nicht, die Behandlung des Themas wird kommen, und keiner kann das verhindern.« Wie er sie zu führen gedenkt, zeigten seine Seitenhiebe auf Erich Böhme in der genannten Veranstaltung der Berliner Gauck-Behörde. Ein Zuschauer fragte gar verunsichert, was denn »dieser Herr Böhme vor 1990 gemacht« habe. Christian Stenz beeilte sich zu beteuern, daß der frühere »Spiegel«-Chefredakteur seit 1994 »keine feste Funktion« mehr in der »Berliner Zeitung« habe. Der als »Ständiger Kolumnist« an prominenter Stelle des Impressums stehende Böhme sei »nur noch ein freier Mitarbeiter«.
Nicht in diesem Zusammenhang, sondern an ganz anderer Stelle machte Weberling düstere Andeutungen über »Stasi-IM im Westzeitungen«. Kündigt er damit eine Fortsetzung seiner »Forschungen« an? Sollte sich Erich Böhme schon immer mal warm anziehen?