Am gegenwärtigen Umgang mit China zeigt sich einmal mehr der zutiefst provinzielle Charakter deutscher Politik. Während in den Nachrichten aus der Provinz Sichuan die Zahl der Erdbebenopfer über die 50000 hinausschnellt, während 100000 Soldaten und kaum weniger zivile Helfer unaufhörlich versuchen, unter kompliziertesten Bedingungen Menschenleben zu retten, während immer mehr Menschen rund um den Erdball Solidarität üben, gibt es für deutsche Parteipolitiker kein wichtigeres China betreffendes Thema als – ob, wer, wann, wo und wie lange den zufällig gerade in Deutschland weilenden Dalai Lama allein zu dem Zwecke empfängt, gegenüber China ein wenig die Faust zu ballen.
Es geht der Politik nicht um die sonst so gern um fehlender Menschenrechte bedauerten einfachen Chinesen, die gegenwärtig um das wichtigste Menschenrecht, ihr nacktes Leben, kämpfen, es geht ihr auch nicht wirklich um den religiösen Führer der Tibeter, den sie längst zum Joker im eigenen machtpolitischen Spiel verkommen ließ – ihr geht es nur um die Fortsetzung alter ideologisch geprägter Machtdemonstration und nicht zuletzt um Geländegewinn vor kommenden Wahlkämpfen. Das große und mit seinem unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwung zunehmend zum Konkurrenten werdende China macht westlichen Politikern Angst; der im kalten Krieg jahrzehntelang eingeübte Reflex heißt Abwehr, Diffamierung, Konfliktaufbau. Und zu Hause schielt man auf die Schlagzeilen, die eine überwiegend ebenfalls derart ideologisch geprägte Medienlandschaft zu liefern verspricht.
Den Chinesen in ihrer derzeitigen Not hilft das alles nichts – und soll es auch gar nicht. Es hilft nicht einmal dem Dalai Lama, wenn ausgerechnet ein Roland Koch sich zum führenden Menschenrechtler des Landes aufschwingt und sich als sein bester Freund geriert, was der Dalai Lama freilich kritiklos geschehn lässt. Seine Rolle in der Koch-Show ist die eines Statisten, den man gegen den politischen Gegner hierzulande ebenso in Stellung zu bringen versteht wie gegen den neuen global player in Asien. Es ist eine kurzsichtige, wenig souveräne Politik – ganz auf den Niveau provinzieller Tingeltangel-Darbietungen.
Allerdings läßt sich der Dalai-Lama auch zum Statisten machen, zu einem allerdings stets gut gelauten Statisten. Ob seine zur Schau gestellte gute Laune daran liegen könnte, daß dem asketischen Dalai-Lama die westliche Lebensweise gut gefällt oder ob es sich nur schlicht um asiatische Höflichkeit handelt, ist dabei noch müßig zu ergründen. Jedenfalls trägt der „Gute Laune“-Dalai-Lama mit seiner „sympathischen“ Verhaltensweise im Westen zu seiner allgemeinen Beliebtheit nicht unerheblich bei.
Fragt sich nur, warum gerade der eingefleischte Wirtschaftsfreund Roland Koch ein nicht minder großer Freund des Dalai-Lama sein will und weshalb sich das politische Berlin so sehr ziert, sich mit dem Dalai-Lama öffentlich ablichten zu lassen? Vielleicht auch deshalb, um es sich mit dem kommunistischen China nicht zu verderben, aber auch, um aufzuzeigen, daß man mit dem Konkurrenten China auch „anders“ könnte.
Eines dürfte jedenfalls sicher sein: die Chinesen sind „böse“, der Dalai-Lama ist gut und der Westen ist gerecht.
Ich bin sehr im Zweifel, ob die deutsche Außenpolitik mit „zutiefst provinziell“ richtig qualifiziert ist. Mir scheint, daß sie durchaus in übergreifender und anmaßender Weise die ganze Welt im Blick hat. Darin erinnert sie mich sehr an die Zeit vor genau 100 Jahren. Vielleicht sollte man sagen „zutiefst traditionell“?
Ein neues Moment ist nur die weitere konsequente Orientierung auf die Juniorpartnerschaft mit den USA (ein spezielles Merkel-„Verdienst“).
Ich würde diese Politik als global ausgerichtet atlantisch-imperialistisch bezeichnen und darin liegt ihre totale Beschränktheit und zugleich Gefährlichkeit für die Existenz der Menschheit.