Neulich bei meinem Zahnarzt …

… konnte ich einmal mehr nicht nur erleben, wie unser famoses Gesundheitssystem dabei ist, neben den ständig steigenden Krankenkassenbeiträgen auch noch immer mehr Leistungen, die eigentlich davon bezahlt werden sollten, dem Patienten in Rechnung zu stellen. Sondern ich musste erfahren, wie der Zahnarzt resp. die Zahnärztin subtile Methoden erdenkt und anwendet, um beim Hilfesuchenden solche Rechnungstellung durchzusetzen und möglichen Widerstand gar nicht erst aufkommen zu lassen. Der Zahnarzt nutzt dazu die Situation, in der sich sein Patient befindet gnadenlos aus – etwa so wie es jüngst Wolfgang Hübner am Beispiel des unglücklichen Herrn Mosekund beschrieb – allerdings ziemlich verharmlosend, denn in seinem Beispiel ging es lediglich um geistigen Austausch und nicht um jenen in harter Währung:

MOSEKUNDS  MONTAG

Von Wolfgang Hübner

AN DIE WURZEL

Mit Bedacht hatte Herr Mosekund einen Zahnarzt ausgewählt, der sein Interesse für gehaltvolle Gespräche teilte. »Was meinen Sie eigentlich zu dem neuen Sloterdijk?« fragte der Zahnarzt, als er sich mit mehreren Instrumenten gleichzeitig im Rachenraum von Herrn Mosekund zu schaffen machte. »Hng«, antwortete Herr Mosekund. »Ach ja?«, sagte der Zahnarzt erstaunt, »ich fand ihn eher eine Spur zu stringent.« – »Hng, hng«, wandte Herr Mosekund ein. »Oha«, erwiderte der Zahnarzt, »von dieser Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet. Übrigens, beim letzten Mal erwähnten Sie …« – »Hng!« – »Genau«, sagte der Zahnarzt, »ich glaube, Sie hatten doch recht.« Es sei, bescheinigte er Herrn Mosekund zum Abschied, wieder sehr anregend gewesen: »Ich werde über Ihre Ansichten wie immer gründlich nachdenken.«

Mich jedenfalls fragte der Zahnarzt nicht nach dem neuen Sloterdijk, sondern teilte mir – während ich mit weit geöffnetem Mund, in dem einige Klammern fest verschraubt worden und der Rest des Rachens mit mehreren Wattetampons und Mulleinlagen ausgefüllt war, hilflos vor ihm auf dem Rücken lag – beiläufig mit, dass die von ihm ins Auge gefasste Füllung für meinen in einem bedenklichen Fäulniszustand befindlichen Zahn natürlich von der Krankenkasse nicht vollständig bezahlt würde, weshalb er mir den Rest in Rechnung stellen oder die Behandlung sofort abbrechen müsste. »Hng«, antwortete ich so laut ich konnte. »Dachte ich mir doch, dass Sie es auch so sehen«, entgegnete der Zahnarzt und ließ sich von seiner Assistentin eine erste Portion jener weißen Paste reichen, die sie bereits emsig angerührt hatte. »Früher haben wir ja noch Amalgam verfüllt«, fuhr er fort. »Hng, hng«, bestätigte ich. »Nicht wahr, Sie kennen inzwischen auch die Risiken dieses quecksilberhaltigen Produkts«, sagte der Zahnarzt mit bedenklicher Miene, was mich zu einem erneuten »Hng« veranlasste. »Dafür danke ich Ihnen, denn auch für uns war natürlich der tägliche Umgang mit diesem giftigen Stoff nicht ungefährlich.« Da ich jetzt schwieg, setzte er hinzu: »Ich kann Ihnen eine Rechnung unter 50 Euro machen, genau 49,16 .« Ich hatte meine Zunge ein wenig aus dem Mull- und Wattepanzer freigekämpft und fühlte, dass sich mein Zahn allenfalls erst im Rohbauzustand befand, weshalb mein folgendes »Hng« für den Zahnarzt ermutigend gewesen sein dürfte. Denn sofort übernahm er die nächste Füllration und setzte die Sanierung fort. »Es ist doch immer wieder beglückend«, teilte er mir zum Abschied mit, »wenn unsere Patienten den ärztlichen Rat so bereitwillig zu ihrer eigenen Entscheidung machen.«