Je stabiler Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, desto instabiler Schwarz-Gelb in Berlin

Mitunter kann es erfreulich sein, wenn sich allzu düstere eigene Prognosen im Nachhinein als falsch erweisen. Das gilt zum Beispiel ganz aktuell für die dieser Tage erfolgte Bildung einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen, obwohl lange  alles darauf hindeutete, dass die SPD in Düsseldorf – wieder einmal – einen CDU-Ministerpräsidenten zu retten beabsichtigte. Nach der vernichtenden Niederlage bei den letzten Landtagswahlen hielt sich Jürgen Rüttgers wie ein klebriger Milchbonbon an seinem Sessel fest, und SPD wie Grünen fehlte zunächst die Courage, die vom Wähler hergestellte Mehrheit links von Schwarz-Gelb für einen Neuaufbruch zu zu nutzen. Man fertigte die Linkspartei, die für ein solches Projekt gebraucht wurde, wie einen kleinen Pennäler ab und warb stattdessen inständig um Unterstützung bei den gerade vom Wähler abgestraften Ex-Koalitionären von CDU und FDP. Schlagartig zeigte sich damit, wie sehr SPD und Grüne bereits politikunfähig geworden waren, sobald die Wähler originär linke Politik verlangten und zugleich ermöglichten.

Vielleicht kann man solch Versagen am wenigsten der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft anlasten, die den einen Blick auf ihre jahrzehntelang von Johannes Rau und vor allem Wolfgang Clement geformte Partei richten musste, in der starke Bataillone liebend gern in eine große Koalition mit der CDU gegangen wären, was – vielleicht glücklicherweise – deren Starrsinn und das Machtspiel eines Jürgen Rüttgers und seiner Clique letztlich verhinderten. Von dieser höchst unzuverlässigen SPD ging der andere Blick Krafts geradewegs nach Hessen, wo eben solche rechtsgerichteten Sozialdemokraten einen Neuanfang mit einer linken Politik verhindert hatten – im trauten Zusammenspiel mit der erzkonservativen CDU mit Roland Koch an der Spitze. Diese Gemengelage ließ die SPD-Spitzenfrau zögern, die genau weiß, dass sie auch künftig der eigenen Mehrheit nicht sicher sein kann. Die Verweigerung eines Teils ihrer Fraktion., die Kandidatin der Linken für den Posten einer Landtags-Vizepräsidentin bereits – wie allgemein Usus – im ersten Wahlgang zu wählen, war ein deutliches Signal an die neue Ministerpräsidentin, das Zusammenspiel mit der Linkspartei nicht zu weit zu treiben.

Es war am Ende zum einen das Drängen der ideologisch viel weniger festgelegten Grünen und zum anderen der Machttrieb der neuen SPD-Bundesspitze, die die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ermöglichten. Während erstere pragmatisch die sich ergebenden Möglichkeiten nutzen wollen und schon bei den Sondierungen mit der Linkspartei weitaus weniger Bauchschmerzen hatten als die Sozialdemokraten, geht es der SPD-Führung um Gabriel und Nahles um ein Signal dafür, dass die SPD trotz weiterhin unbefriedigender Umfragedaten wieder im politischen Spiel dieser Republik mitspielt. Die SPD-Spitze dürfte es auch gewesen sein, die – anders als seinerzeit Müntefering – die örtlichen Kritiker an die Zügel nahm und ihnen bedeutete, dass derzeit ein Scheitern der SPD-geführten Regierung nicht ins Konzept passt. Ein Blankoscheck für Kraft auch in der Zukunft ist das freilich nicht – wie sich überhaupt erweisen könnte, dass die ideologische Hemdsärmligkeit Sigmar Gabriels, mit der er keine Provokation der Linkspartei auslässt, eher zu einer Belastung für die Düsseldorfer Minderheitsregierung werden könnte als jede inhaltliche  Differenz mit den Linken.

Denn von CDU und FDP haben die rot-grünen Koalitionäre trotz allen Buhlens wenig Unterstützung zu erwarten – selbst da nicht, wo ihre Vorhaben sich zu schwarz-gelben Vorstellungen nicht in diametralem Widerspruch befinden. Es ist bezeichnend, dass die CDU/CSU/FDP-Regierung in Berlin, die zu Gemeinsamkeit im Interesse der Bürger nicht in der Lage ist, sofort zum Schulterschluss findet, wenn es darum geht, einen Feind zu stigmatisieren. Sie demonstrierte so einmal mehr, wenn wohl auch unbeabsichtigt, mit aller Klarheit, dass sie lediglich ein Bündnis des Destruktiven, des Zerstörerischen ist, während sie an jeder Konstruktivität ihrer inneren Widersprüche wegen scheitert. Insofern ist die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen, die um ihres Überlebens willen zu links geprägter Politik gezwungen sein wird, eine echte Herausforderung für Schwarz-Gelb. Je besser es ihr gelingt, eine echte Alternative zum neoliberal-klientelistischen Regieren in Berlin aufzuzeigen, desto mehr delegitimiert sie das Kabinett Merkel/Westerwelle und macht ihre eigene Stabilität zum Maßstab für die Instabilität der Bundesregierung.

In diesem Zusammenhang ist die Situation für die Linke in NRW sehr komfortabel, viel komfortabler jedenfalls, als es eine wie auch immer geartete formelle Zusammenarbeit mit Rot-Grün wäre. Sie kann weiterhin unverdrossen auf ihre inhaltlichen Positionen pochen und abwarten, inwieweit die SPD unter diesem Druck zu originär sozialdemokratischen Prinzipien zurückkehrt bzw. die Grünen ihre latente Verbürgerlichung ein wenig bremsen. Natürlich wird sie dabei Kompromisse machen müssen, aber nicht mehr und nicht weitgehendere als die rot-grüne Minderheitsregierung. Hier das richtige Maß zwischen legitimer Forderung und taktischer Beweglichkeit zu finden, ist eine schwierige, aber auch – im Hinblick auf rot-grün-rote Hoffnungen im Bund – reizvolle und zukunftsträchtige Aufgabe. Die Linkspartei in NRW kann so einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass SPD und Grüne für ein vertrauenswürdiges Projekt links von Schwarz-Gelb koalitions- und regierungsfähig werden und so dem rot-grünen Ansinnen, sich deren gerade in jüngster Zeit nicht selten prinzipienloser Politik anzupassen, etwas Wirkungsvolles entgegensetzen.

2 Replies to “Je stabiler Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, desto instabiler Schwarz-Gelb in Berlin”

  1. mein erster gedanke, als ich vom zustandekommen der minderheitsregierung erfuhr, war: „wenn wir jetzt noch `ne bundespräsidentin hätten, wäre die quote in unserem land endgültig weit übererfüllt.“

    ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das gut oder eher nicht so umwerfend finden soll.

    dass die linken als fünftes – aber unter umständen oftmals entscheidendes – rad am wagen mitfahren, ist hoffentlich mehr als nur ein experiment, nämlich ein klares bekenntnis der spd sowie der grünen, dass man die linken nicht mehr grundsätzlich vom politischen entscheidungsprozess ausschließen muss.

    so weit haben es rechte parteien in unserem land – zum glück – niemals gebracht, obwohl der republikaner schönhuber sicherlich einige duz- und bierzeltkumpel in etablierten parteien hatte.

    die linke hat meines erachtens schon allein als gegenpol zur erzkonservativen, wo nicht rechten csu ihre daseinsberechtigung als ernstzunehmender bestandteil jedes landes- und auch des bundesparlaments und nicht zuletzt auch als koalitionspartner.

  2. So isses, die „Linke-Chaostruppe“ in NRW als Stabilisator für menschenfreundliche Reformpolitik nicht nur in Düsseldorf 😉

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