Wenn Julian Assange den Friedensnobelpreis erhielte …

… ginge es ihm ohne Zweifel ganz ähnlich wie derzeit Liu Xiaobo, dem chinesischen Dissidenten, der heute in Oslo in Abwesenheit mit eben diesem Preis geehrt wurde. Zwar ist vom norwegischen Noblepreiskomitee eine solche Wahl kaum zu erwarten, hat es doch im Vorjahr den US-Präsidenten, der mit seiner Administration gerade gravierend gegen das Menschnrecht der Informationsfreiheit verstößt, ohne jede politische Leistung, allein auf Verdacht, zum Friedensnobelpreisträger gekürt und wird auf absehbare Zeit niemanden solcher Würdigung für wert befinden, der von Obama und den seinen zum größten Feind der USA seit Osama bin Laden erklärt wurde.

Aber der Gedanke an einen Preisträger Assange ist so faszinierend wie ernüchternd. Faszinierend deshalb, weil sich in einer solchen Entscheidung und der Reaktioin darauf wie in einem Brennglas das spiegeln würde, was tatsächlich von den wohlfeilen Sprüchen westlicher Staaten über die Menschenrechte zu halten ist. Und ernüchternd wäre gewiss die Erkenntnis, dass die westliche Supermacht und ihre Verbündeten nicht anders reagieren als China bei der heutigen Verleihung des Nobelpreises an Liu Xiaobo, den es aufgrund seiner offenen Kritik am dortigen System zum Kriminellen erklärte – so wie die USA Julian Assange wegen dessen Dissidenz zur amerikanischen Politik.

Dabei hat Assange – anders als Liu Xiaobo – nicht einmal aktiv gegen eine Regierung oder ein System gearbeitet; er hat nichts anderes getan, als Täuschungen, Intrigen, Kriegsverbrechen als Teil des politischen Geschäfts zu entlarven. Manche sagen gar, er habe amerikanische Politik wieder an die Ideale ihrer Anfänge herangeführt, an den Grundkonsens amerikanischen Unabhängigkeits- und Demokratiestrebens. Aber genau das betrachten die USA als Verbrechen und nehmen in Kauf, künftig in einem Atemzug mit Iran, Nordkorea, Malaysia oder eben China genannt zu werden.

Esi gehtdabei natürlich nicht um die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange, die die schwedische Justiz – wenn auch auf höchst seltsame Weise – untersucht. Es geht um den Straftatbestand, den die USA fieberhaft zu konstruieren versuchen und der Informationsfreiheit, so sie denn den eigenen Staat betrifft, unisono zum Verbrechen, gar zu Terrorismus erklären soll. Wikileaks hat die Achillesferse von Politik freigelegt, die Verschleierung, die Vertuschung, die Verdrehung von Tatsachen – mit dem Ziel, Herrschaft auszuüben, Macht zu demonstrieren. Daran sind schon die sozialistischen Staaten gescheitert; nun muss auch der Westen erkennen, dass der von ihm so lange, aber nur mit Blick auf die andere Seite propagierte »freie Fluss der Informationen« auch die eigene Politik in Frage stellt, ein »neues Denken« verlangt.