Lernen bei Gaddafi

(pri) Heimlich, still und leise ist die westliche Politik in der arabischen Welt zu ihrer alten Linie der Unterstützung ihr genehmer Despoten zurückgekehrt, verbirgt das jedoch schamhaft hinter wortgewaltigen Erklärungen gegen Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi, den sie freilich schon immer für einen Schurken gehalten hatte. Ähnlich lautstarke Empörung gegen Bahrains König Hamad Bin Isa al Khalifa, der gerade den Aufstand in seiner Hauptstadt Manama blutig niederschlug, ist nicht zu hören – und auch nicht, dass da fremde Truppen aus Saudi-Arabien mit am Werke waren; bei Gaddafi hatte man den Einsatz von Söldnern noch als besonders verabscheuungswürdig bezeichnet. Jemens nicht weniger zimperlicher Herrscher wird ebenfalls kaum gescholten – und schon gar nicht Saudi-Arabien, das nach dem Sturz der Despoten in Tunesien und Ägypten alles tut, um weitere demokratische Entwicklungen im arabischen Raum nicht zuzulassen.

Nur Gaddafi wäre man gern losgeworden, war der doch zu unberechenbar vor allem angesichts seines Ölreichtums. Nie konnte sich der Westen bei diesem bizarren Diktator sicher sein, dass er sich nicht nur gegen sein Volk, sondern auch gegen die Interessen der Erdölkonzerne und die Regierungen von deren Mutterländern wenden würde. Es besteht kein Zweifel, dass der einstige fortschrittliche Revolutionär, der seine Vorbilder in Algeriens Ben Bella und Ägyptens Gamal Abdel Nasser sah, bei den kruden Theorien aus seinem »Grünen Buch« niemals viel mit Demokratie und Meinungsfreiheit im Sinn hatte, aber andererseits doch sorgfältig darauf achtete, dass die Stammesgegensätze in den weitläufigen Wüstenland nicht eskalierten und das Volk in gewisser Weise am Ölreichtum partizipieren konnte. Auch dem Islam verordnete er ein anderes, weniger gewalttätiges Gesicht, was ihn den Fundamentalisten verhasst machte; Bilder aus dem heutigen Libyen jedenfalls zeigen ganz selbstverständlich Frauen als Lehrerinnen, Schuldirektorinnen, in der Verwaltung. Die bevorzugten Freunde des Westens, die Ölscheichtümer mit Saudi-Arabien an der Spitze, sind davon in der Regel weit entfernt.

Dennoch reichten den Libyern die immer wieder versprochenen, aber kaum realisierten Reformen nicht aus; sie trugen ihre Ungeduld auf die Straße. Dazu kamen die zwar kaschierten, aber nie überwunden Stammesgegensätze, die vor allem im Osten des Landes, um Bengasi, den Umsturz so erfolgreich machten. Dass es Gaddafi dennoch gelang, die Entwicklung hin auf seine Entmachtung zu stoppen und umzukehren, ist allein mit dem brutalen Vorgehen seiner Soldaten nicht zu erklären, zumal es die in westlichen Medien oft schon als Tatsache hingestellten Massaker offensichtlich nicht gab. Eher halfen ihm dabei die schweren und wirksamen Waffen, die ihm aus den USA und den EU-Staaten, aber auch aus Russland gegen gutes Geld wahrend der letzten Jahre geliefert wurden. Und dazu genießt er wohl doch noch eine gewisse Unterstützung in seinem Volk; wie sonst wäre der schnelle Vormarsch zu erklären gewesen.

Wieder einmal zeigt sich, wie sehr eine stark ideologisch geprägte Bewertung objektiver Sachverhalte in die Irre führt. Wenn schon unsere guten Freunde Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten nicht mehr zu halten sind, dann darf noch viel weniger der »verrückte« Gaddafi im Amt bleiben. Darauf konzentrierte man sich – an vorderster Stelle Frankreich, das dem Libyer gerade noch ein Atomkraftwerk in die Wüste stellen, ihn nun aber möglichst schnell wegbomben wollte. Deutschland verhielt sich zurückhaltender; selbst einem Westerwelle muss man hier Besonnenheit und das Bedenken der Folgen hoch anrechnen – zumal in den Medien schon die Kriegstrommel geschlagen wurde (und nach dem absehbaren Debakel dann die Trompete geblasen worden wäre, man habe es ja schon immer gewusst).

Neben der Verhinderung demokratischer Entwicklungen in Libyen selbst hat Gaddafis Vorgehen freilich auch andere Diktatoren ermutigt, sich nicht so leicht zur Seite schieben zu lassen. Sie haben von ihm gelernt, dass man sich nur ohne viele Skrupel an seine Macht klammern muss, um vielleicht doch zu überleben. Bahrains König gelang das allerdings nicht wie Gaddafi aus eigener Kraft, sondern er brauchte dafür ausländische Interventionstruppen, was die westlichen Länder aber nicht störte. Und wie andere den Widerstand ihrer Völker brechen, wird man sehen. Dass sie, wenn sie nicht gerade Gaddafi oder Ahmadinedschad heißen, vom Westen nicht viel zu befürchten haben, wissen sie jetzt. Die kurze Phase der Verunsicherung über die Entwicklungen in Arabien ist vorbei. Jetzt weiß man wieder, zu wem man stehen muss – nämlich zu denen, zu denen man schon immer gehalten hat.

One Reply to “Lernen bei Gaddafi”

  1. Danke für den besonnen abwägenden Artikel, der sich wohltuend von den häufig blutdürstig nach Waffengewalt rufenden Beiträgen (natürlich nur zum Wohle des libyschen Volkes und der Wahrung der Menschenrechte!) abhebt.
    Wenn einmal der Pulverdampf verflogen sein wird, werden die Libyer, die lieber arm, aber frei statt reich und unfrei sein wollten, womöglich erkennen, dass sie dann arm und unfrei sein werden und dass das Land mit seinen Schätzen ihnen dann nicht mehr gehören wird.

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