(pri) Die 100-Tage-Frist ist noch nicht verstrichen. Doch die schwarz-rote Koalition ist schon nach zwei Monaten gehörig ins Stolpern geraten – und das nur vordergründig wegen Sebastian Edathy. Sie geriet schnell in die erste Krise, weil ihre Gegensätze größer sind als die Gemeinsamkeiten.
Angela Merkel ist sich treu geblieben; vielleicht fällt ihr ja auch nichts Neues mehr ein. Für alles, was im Lande als positiv empfunden wird, beansprucht sie eigene Verantwortlichkeit, ganz gleich, wer der Urheber war. Die mageren sozialen Verbesserungen, die die SPD im Koalitionsvertrag durchsetzte, kommentierte sie in ihrer Regierungserklärung: »Unser Kompass ist die soziale Marktwirtschaft.« und ergänzte bei der Vorstellung des Europa-Wahlprogramms, Wirtschafts- und Sozialpolitik gehörten zusammen, »wenn Sie in der Umgebung von 40 Prozent Stimmen bekommen wollen«. Der neue Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende musste sich ob seines forschen Voranschreitens bei der »Energiewende« sagen lassen: »Das wird ein Projekt der gesamten Bundesregierung und nicht nur ein Projekt eines Ministers.« Und überhaupt: »Die Koalition will die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen.«
Auf diese Weise hatte sie schon 2005 die Sozialdemokratie eingefangen. Den Steinmeiers, Münteferings und Steinbrücks ging es damals vor allem darum, möglichst viel von ihrer Agendapolitik zu retten, sie gar noch weiterzuführen, was dann mit der Rente mit 67 auch gelang. Der SPD trug dies zwar den Ruf ein, die Union »sozialdemokratisiert« und 2009 mit 33,8 Prozent der Stimmen auf das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 gedrückt zu haben – ein zweifelhafter Erfolg, war er doch mit dem noch schlechteren SPD-Resultat (23 Prozent) erkauft und vor allem mit dem Aufschwung der FDP, der der Republik vier Jahre Schwarz-Gelb bescherte.
Jetzt ist die Situation völlig anders. Die von der SPD nicht angestrebte Juniorposition in einer großen Koalition soll dennoch genutzt werden, die Sozialdemokratie wieder zur stärksten Kraft zu machen – mit welchen Mitteln auch immer. Das erfordert eine völlig andere Taktik und unter anderem einen Fraktionschef, der auf Konsens nur orientiert ist, solange es der SPD nutzt und im Übrigen die scharfe Attacke bevorzugt. Deshalb setzte Sigmar Gabriel seinen Vertrauten Thomas Oppermann trotz Widerstands in der Fraktion und gegen dessen eigene Ambitionen in dieser Funktion durch.
Inhaltlich ging es um einige Zugeständnisse der Union im Koalitionsvertrag, so zum Mindestlohn, zur Rente mit 63, zur Mietpreisbremse, zur Energiepolitik, die dann auch von der SPD zügig in Angriff genommen wurden, um sie schnell auf der Habenseite verbuchen zu können, wort-, aber auch widerstandslos begleitet von einer Kanzlerin, der das im Sinne ihrer Wohlfühlpolitik gar nicht so unrecht war. Das gelang zwar viel weniger nachhaltig als erhofft, erweckte aber den durchaus erwünschten Eindruck, dass die Sozialdemokratie die Führung in der Regierung übernommen habe.
Zugleich warf die SPD immer wieder Themen in die Diskussion, die sie im Koalitionsvertrag nicht hatte durchsetzen können; auch das zwar folgenlos, aber mit ähnlichem Effekt. »Die SPD hatte einen Superstart, und wir dösen vor uns hin«, zitierte die Berliner Zeitung ein führendes CDU-Mitglied.
Aus dieser Gemengelage baute sich – beginnend schon mit den Koalitionsverhandlungen – eine nervöse, lauernde, misstrauische Atmosphäre im Regierungslager auf, in der beide Seiten nach Vorteilen auf Kosten des anderen strebten. Und es war nur eine Frage der Zeit, dass aus dieser Gewitterstimmung ein Funke schlug, der zu Blitz und Donner führte; dazu reichte schon ein solch marginaler Vorgang wie die Reaktion auf die Affäre Edathy.
Bereits die Indiskretion des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich gegenüber dem SPD-Chef war ein vergiftetes Geschenk. Denn es gehört wenig Phantasie dazu zu vermuten, dass Friedrich nach dem für ihn und die Gesamtheit der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden außerordentlich rufschädigenden NSU-Untersuchungsausschuss in den Anschuldigungen gegen dessen Vorsitzenden Sebastian Edathy eine willkommene Chance sah, ihn künftig von politischen Ämtern auszuschließen. Ohne sich mit irgend jemandem zu beraten, informierte er quasi in einer Kurzschlussreaktion Sigmar Gabriel, wohl auch mit dem Hintergedanken, das schmutzige Geschäft der Kaltstellung nicht selbst besorgen zu müssen.
Die Operation klappte zunächst, weil Edathy auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten war, zugleich anderen aufstrebenden Sicherheitspolitikern der Partei als Konkurrent galt und sich Gabriel ob solcher Vertraulichkeit ausgerechnet von CSU-Seite wohl auch geschmeichelt fühlte und dieses »Vertrauen« nicht enttäuschen wollte. Als aber das nachfolgende unprofessionelle Agieren der SPD-Spitze ans Licht kam und man den Hauptakteur Thomas Oppermann »am Schlafittchen hatte«, wie es Friedrich ausdrückte, schob dieser den Schwarzen Peter flink dem CSU-Politiker zu.
Die Scheinwerfer richteten sich nun auf diesen, was weder Angela Merkel noch dem im Kommunalwahlkampf stehenden Horst Seehofer recht sein konnte. Rücktrittsforderungen vom Koalitionspartner, so dem schleswig-holsteinischen Innenminister Breitner, taten ein Übriges, und Friedrich wurde aus der Schusslinie genommen – mit dem von der CDU kalkulierten Ergebnis, dass nun Oppermann in diese geriet. Zwar gelang es bisher nicht, den SPD-Fraktionsvorsitzenden zu Fall zu bringen, aber ein »Stabilitätsanker«, zu dem er sich selbst erklärte, ist er nicht mehr, sondern vielmehr »eine Boje, die auf dem Wasser wild hin und her schaukelt«, wie CDU-Generalsekretär Peter Tauber spottete.
Bei den Unionsparteien steht Oppermann künftig unter verschärfter Beobachtung. Sie stören sich an den Sozialdemokraten, die »links und rechts ständig neue Themenfelder aufmachen, bei denen wir in den Koalitionsverhandlungen … gesagt haben: Darüber brauchen wir die nächsten vier Jahre nicht reden«, wie Tauber monierte und hinzufügte: »Wenn er das schafft, seine Fraktion da ein bisschen zu disziplinieren, dann kann er in der Tat wieder zu so einem Stabilitätsanker werden, der Herr Oppermann.« Auch die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt erwartet, »dass in der sachlichen Arbeit natürlich auch ein Vertrauensbeweis liegen kann«.
Sollte es Gabriels Absicht gewesen sein, seinen rauflustigen Vertrauten auch deshalb in die exponierte Position des Fraktionsvorsitzenden zu bringen, um bei Bedarf mal auf Konfrontation umschalten zu können, ist ihm dieses Mittel nun weitgehend aus der Hand geschlagen. Besonders energisch soll Unions-Widerpart Volker Kauder auf Friedrichs Entlassung und damit die Entblößung der Flanke Oppermann gedrungen haben, und auch die CSU ließ sich relativ schnell besänftigen. Das Kalkül der Union: Mit einem SPD-Fraktionschef »auf Knien« lässt es sich leben.
Die Widersprüche innerhalb der Koalition sind damit natürlich nicht überwunden, im Gegenteil. Das Misstrauen wird anhalten, eher noch wachsen. Hasselfeldt erklärte, sie würde beim Kauf eines Gebrauchtwagens von SPD-Chef Gabriel jetzt »schon ganz genau hinschauen«. Die SPD hingegen ist sich weiter keiner Schuld bewusst. Für Angela Merkel heißt das, dass die in ihrer ersten Koalition mit der SPD erfolgreiche Taktik, die Sozialdemokratie zu vereinnahmen und damit gleichzeitig Kritik in den eigenen Reihen zu neutralisieren, an ihre Grenze stößt. Die Macht zweiter Klasse, auf die die SPD in einer solchen Konstellation verwiesen bliebe, genügt Sigmar Gabriel nicht – und damit aktiviert er gleichzeitig Gegenkräfte in den Unionsparteien. Damit aber geht die gesamte Regierung ihrer Stabilität verlustig, dümpelt – um bei Taubers Wortwahl zu bleiben – wie eine Boje auf dem Wasser wild hin und her.
Egon Bahr war es, der unlängst konstatierte: »Das Wahlergebnis … war der Gipfel, und auf dem Gipfel kann man nicht ausruhen. Wann immer Sie vom Gipfel weitergehen, geht’s bergab.« Er meinte das Wahljahr 1972, und er meinte Willy Brandt, dessen Abstieg mit dem damaligen grandiosen Erfolg von 45,8 Prozent der Wählerstimmen begann; anderthalb Jahre später war er am Ende. Auch für Angela Merkel war das jüngste Wahlergebnis – sie verfehlte mit 41,5 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit – der Gipfel ihrer politischen Anerkennung. Wie es scheint, ist auch sie nun auf dem steinigen Weg bergab.
(Erschienen in: Neues Deutschland vom 06. März 2014)
Königin Angela wirkt müde und erschöpft, nicht erst seit ihrem Skiunfall in der Schweiz. Der persönliche Akku scheint nicht mehr aufzuladen.
Auf Deutschland prasseln Ereignisse ein, ähnlich dem Steinhagel gegen die Miliz vor dem 21. Februar 2014 auf dem Majdan in Kiew.
Angela kann auch nur noch ihren Schild über den Kopf halten, um (politisch) nicht erschlagen zu werden.
Ohne Scherz gesagt: Für eine „Seiteneinsteigerin“ in die Weltpolitik, hat diese Frau aus der Uckermark ungewöhnlich lange physisch und psychisch durchgehalten!
Diese GROKO muß früher oder später scheitern, weil sie sowohl der Union als auch der SPD Schaden zufügt. Die Wahlen des Jahres 2014 werden es zeigen!
Die SPD-Führung war einfach zu feige, sich an die Spitze einer Opposition im Bundestag zu stellen. Die heutige Ähnlichkeit mit der Allparteien-Regierung der Schweiz, erzeugt nun auch in Deutschland die wachsende Forderung nach einer direkten Demokratie. Das ist natürlich ein sehr positiver „Nebeneffekt“, der von den Parteiführungen so nicht erwartet wurde.
Je mehr die Parteien im „Gleichschritt“ gehen, umso größer wird das Verlangen der Wähler nach Alternativen!