(pri) Zwar wird noch immer von allen beteiligten Seiten unverdrossen verkündet, eine militärische Lösung der Krise in der Ukraine sei undenkbar, doch hinter diesen verbalen Tarnvorhang sind die Vorbereitungen dazu längst in vollem Gange. Und manche sagen, auch angesichts von inzwischen mehr als 5000 Toten, die militärische Lösung vollziehe sich bereits, von Tag zu Tag mit zunehmender Wucht. Selbst jenen, die am Anfang das Feuer entfachen halfen, wird es langsam zu heiß.
So weckt inzwischen in Europa die unverhohlene US-amerikanische Absicht der Lieferung von verschleiernd »letal« genannter, also letztlich tödlicher Angriffswaffen an die Ukraine so große Besorgnis, dass der französische Präsident Hollande und die deutsche Kanzlerin Merkel parallel mit US-Außenminister Kerry nach Kiew aufbrachen, um die damit verbundener Eskalation noch zu stoppen. Sie wissen, dass Washington es ernst meint, ist doch bislang keines der Ziele, die sich der Westen in der Ukraine stellte, erreicht. Weder gelang es, das Land als Ganzes an das westliche Lager anzuschlie0en und damit Russland weiter einzukreisen noch konnte man es als Staat im westlichen Sinne stabilisieren. Stattdessen ist der Verlust der Krim zu konstatieren und zeichnen sich weitere territoriale Verluste in der Ostukraine ab.
Offensichtlich unerwartet für die USA und Europa hat Russland eine rote Linie überschritten gesehen und ist nicht mehr bereit, weitere, nun gravierende Geländeverluste zuzulassen. Es nutzt dazu seinen territorialen Vorteil, aber auch den beträchtlichen politischen Einfluss auf den Nachbarstaat, der durch das von Anfang an aggressive Verhalten der Kiewer Administration eher noch gestiegen ist.
Diese günstige Ausgangslage kann der Westen nicht kompensieren. Er ist auf ein Einlenken Russlands angewiesen, weiß aber nicht, wie er es herbeiführen soll. Die Sanktionen haben, obwohl durch den Ölpreisverfall zusätzlich verschärft, nichts bewirkt. Der logische nächste Schritt ist militärischer Druck – in der Hoffnung, russische Verluste würden ein Einlenken herbeiführen. Alle lange mit russischer Strategie und Taktik vertrauten Experten warnen vor einer solchen Illusion; dennoch droht die westliche Ausweglosigkeit die Kriegsschraube weiter zu drehen – mindestens bis zu jenem Punkt, wo die beiderseitigen Atomwaffen ins Spiel kommen. Bis dahin dürfte es zwar noch ein weiter blutiger Weg sein, aber in Europa möchte nicht jeder es dazu kommen lassen.
Die USA und Westeuropa ernten jetzt die bitteren Früchte einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten Politik. Indem sie – der deutsche Außenminister eingeschlossen – am 21. und 22. Februar 2014 rechtsextremen Kräften in Kiew freie Bahn und es damit zuließen, das gerade vereinbarte Dokument einer schrittweisen Ablösung des damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch zu zerreißen, setzten sie eine Gewaltspirale in Gang, die heute unter anderem dazu führt, dass Russland nun seinerseits den Separatisten freie Hand und es damit zulässt, dass diese das Minsker Dokument über einen Waffenstillstand – übrigens als solches schon eine westliche Defensivmaßnahme, weshalb sie auch Kiew nicht wirklich akzeptiert – ebenso zerreißen und damit jetzt – wie damals die andere Seite – einen durch Gewalt erzielten Vorteil verfestigen.
Wie der Westen im Februar vorigen Jahres im Hintergrund die Fäden zog, tut Russland dies nun in der Ostukraine. Dazu bedarf es keiner monströsen Truppenbewegungen und hunderter Panzer, die – wie von Kiew behauptet und von den auf jegliche eigene Recherche verzichtenden »Qualitätsjournalisten« hierzulande bereitwillig kolportiert – angeblich über die Grenze gelangen. Gäbe es einen solchen Einmarsch, wäre er in Zeiten der Totalüberwachung jedes Meters der Erde längst als Livestream g für jeden Smartphone-Besitzer präsent. Dass bisher nicht der kleinste belastbare Beweis geführt werden konnte, hilft Moskau, seine diesbezügliche Glaubwürdigkeit bei vielen Beobachtern zu stärken.
Dabei dürfte sicher sein, dass sowohl russisches Kriegsgerät als auch – und vor allem – russische Kämpfer in der Ostukraine im Einsatz sind, jedoch eher im Sinne des viel zitierten asymmetrischen Krieges, wo sich junge Leute auf den Weg machen, einer »guten Sache« zu dienen oder anderen, vielfältigen Motiven zu folgen. Demgegenüber hält sich die Bereitschaft vieler Ukrainer in Grenzen, in den Krieg gegen Russen zu ziehen, wie die hohe Fluchtrate jener im wehrpflichtigen Alter ins Ausland zeigt. Eher ist zu vermuten, dass Teile der ukrainischen Armee, die ja einmal Bestandteil der Sowjetarmee waren und in deren Sinn auch ideologisch geprägt wurden, sich lieber auf die russische Seite schlagen, als bei einem Bürgerkrieg die eigene Zivilbevölkerung zu attackieren. Recherchen dazu versagen sich allerdings die zahlreichen westlichen Korrespondenten im Kampfgebiet; nur beiläufig kann man solche Schlüsse aus den Aussagen interviewter Kämpfer ziehen.
Vor diesem Hintergrund und dem erklärten Willen des Westens, eher die militärische Karte mit hohem Einsatz auszureizen als von seinem strategischen Ziel der Einkreisung und Minimierung Russlands als einer »Regionalmacht« (Obama) abzulassen, rückt der offene militärische Konflikt zwischen der NATO und Russland näher – wofür beide Seiten mit Truppenverschiebungen und demonstrativen Militärflügen bereits üben. Auch der lange wirksame Riegel ökonomischer Kooperation gegen konfrontative Politik wurde bereits ein großes Stück beiseite geschoben. Und vermutlich sind sogar die überraschende Kehrtwendung Washingtons gegenüber Kuba und Obamas Parteinahme für die neue griechische Regierung in der Sache des Schuldendiktats Bestandteile des diesbezüglichen strategischen Konzepts der USA.
Wenn man diese Signale nüchtern betrachtet, scheint die schon gelegentlich zu hörende Warnung, all dies laufe am Ende auf einen neuen Weltkrieg zu, nicht aus der Luft gegriffen. Es könnte erklären, warum in Europa selbst Politiker, die dieser Entwicklung bislang Vorschub leisteten, nun vor den Folgen eigenen Tuns erschrecken.
Die 51. Münchener Sicherheitskonferenz 2015 endete mit einem Mißerfolg: der Bürgerkrieg in der Ukraine geht unvermindert weiter. Nicht nur im Frontgebiet des Ostens gegen die Separatisten, sondern auch zunehmend auf dem noch Kiew-treuen Staatsgebiet zwischen den ukrainischen Oligarchen.
Die Dollar-Milliardäre Rinot Achmetow, Ihor Kolomoiskyi und Wiktor Pintschuk teilen sich die wirkliche Macht in der Ukraine und dulden ihren „Kollegen“ Petro Poroschenko lediglich als (ein temporäres) „Staats-Symbol.“
Herr Poroschenko benötigt daher als „Oberbefehlshaber“ dringend militärische Erfolge, um seine Position an der Spitze des Staates zu erhalten. Wer kann sich noch an seinen Befehl erinnern, „die Terroristen bis zum 07. Juni 2014 zu eliminieren?“ Inzwischen haben diese ihr Einflußgebiet auf ca. 1.000 Quadratkilometer Bodenfläche verdoppelt!
Nun sollen US-amerikanische Waffen die „Wende“ ermöglichen. Doch diese müssen bedient und gewartet werden.
Weitere Monate für Ausbildung können sich die ukrainischen Streitkräfte nicht leisten. Die Separatisten befinden sich in der Offensive. Also müßten sich US-Army-Ausbilder oder Söldner selber an die Waffensysteme begeben. Da „internationale“ Söldner seit Beginn des militärischen Konfliktes auf beiden (!) Seiten kämpfen, wäre das kein unlösbares Problem. Doch auch Putins Militärs würden die Gelegenheit nutzen, ihre zahlreichen Neuentwicklungen „unter realen Bedingungen“ zu erproben. Die Separatisten äußerten, in ihrer zur Schau gestellten Überlegenheit, die „Neugier auf die zu machenden US-Beute-Waffen.“ Die Gefahr der unkontrollierten Weiterverwendung von Waffen wäre auch in dieser Krisen-Region gegeben.
Die Gefahr eines „Weltkrieges“ dürfte trotzem nicht zur Disposition stehen. Die Erfahrungen aus den Balkan-Kriegen der 1990er Jahre und dem Georgien-Konflikt des Jahres 2008 bestätigen diese Erkenntnis.
Doch ein „Kalter Krieg 2.0“ scheint real zu werden. Der Verlierer wäre Europa, das dann erneut sich in „Einflußsphären aufteilen“ würde oder sogar müßte.