Mit Donald Trump gibt es für Angela Merkel kein »Weiter so«

(pri) Was Donald Trump betrifft, verhält sich Angela Merkel wie gewohnt, nämlich unaufgeregt. Was aber, wie wir inzwischen wissen, kein Zeichen von Souveränität und gedanklicher Vorsorge ist, sondern von kaschierter Konzeptionslosigkeit. Langfristiges, strategisches Denken ist ihr, der Kanzlerin des einschläfernden Pragmatismus, fremd, was sich spätestens bei der – lange vorhersehbaren – Ankunft von Tausenden Flüchtlingen als schwerer Fehler erwies, denn auf deren Registrierung und schnelle Eingliederung war die Bundesregierung am wenigsten vorbereitet – mit den bekannten negativen Folgen für die Geflüchteten wie den inneren Frieden im Land. Gleiches droht auch jetzt, denn Merkel will uns suggerieren, als werde auch künftig in Washington nichts so heiß gegessen, wie es Trump anzurichten gedenkt.

Sie glaube ganz fest daran, dass ein »regelbasiertes, auf gemeinsamen Werten beruhendes, gemeinsames Agieren« das Beste sei und werde daran arbeiten. Und im übrigen ließ sie bereits zuvor wissen: »Wir Europäer haben unser Schicksal selber in der Hand… Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass die 27 Mitgliedstaaten intensiv und vor allem auch zukunftsgerichtet zusammenarbeiten.« Auch hier also hat die Kanzlerin nichts anderes zu bieten als das bekannt-berüchtigte »Weiter so!« Und das, obwohl dem lernwilligen Beobachter immer klarer wird, dass es damit gründlich vorbei sein könnte. Denn für die Fortsetzung politischer Prozesse, die sich aus der Sicht Trumps als gescheitert erwiesen haben, steht der neue amerikanische Präsident am wenigsten. Ohne Rücksicht auf Verluste wird es all das, was sich aus seiner merkantil-berechnenden Sicht nicht bewährte, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen und damit all jene, die Politik nicht realitätsnah, sondern ideologisch geprägt betreiben, verzweifeln lassen. 

Was das im einzelnen ist, hat er in aller Konkretheit klar gemacht, und erstaunlicherweise ist vieles davon gar nicht so neu. Seine Klagen decken sich oft frappierend mit jenen, die wir seit langem zu hören bekommen, wenn auch in der Regel nicht derart drastisch und unverblümt. So deckt sich seine Schilderung US-amerikanischer Verfallserscheinungen in der Antrittsrede durchaus mit Berichten, die die Ursachen seines Wahlerfolgs zu ergründen suchten: »Mütter und Kinder, die in unseren innerstädtischen Problemvierteln in Armut gefangen sind; verrostete Fabriken, die wie Grabsteine über die Landschaft unserer Nation verstreut liegen; ein Bildungssystem, das genug Geld hat, das aber unsere jungen und schönen Schüler jeglichen Wissens beraubt; und das Verbrechen und die Banden und die Drogen, die zu viele Leben gestohlen und unserem Land so viel unerfülltes Potenzial genommen haben.« Auch die Verantwortung der Washingtoner Administration, zu der neben der Regierung der von seinen republikaniuschen Parteifreunden dominierte Kongress gehört, für den Zustand des Landes wurde bereits ausgiebig erörtert.

Ebenso kann eigentlich niemand überrascht sein, wenn Trump im Interview mit »Bild« und Times« die Europäische Union als »ein Mittel zum Zweck für Deutschland« beschreibt. Das sehen nicht wenige, vor allem südeuropäische Länder ganz ähnlich, so Griechenland, Spanien und Portugal, sogar Frankreich. Und seine Diagnose, »Menschen, Länder wollen ihre eigene Identität. Großbritannien wollte seine eigene Identität … Wenn sie mich fragen, es werden weitere Länder austreten« deckt sich durchaus mit besorgten Einschätzungen in Brüssel selbst.

Allgemeingut ist inzwischen auch Trumps Bewertung des Irak-Abenteuers: »Das war eine der schlechtesten Entscheidungen, möglicherweise die schlechteste Entscheidung, die in der Geschichte unseres Landes je getroffen wurde. Wir haben da etwas entfesselt – das war, wie Steine in ein Bienennest zu schmeißen. Und nun ist es einer der größten Schlamassel aller Zeiten.« Woraus er seine Kritik an der NATO ableitet, die vor allem deswegen obsolet sei, »weil sie sich nicht um den Terrorismus gekümmert hat.« Aber auch, weil »die Länder nicht ihren fairen Anteil bezahlen.« Das Fazit in seiner Antrittsrede: »Viele Jahrzehnte lang haben wir ausländische Industrien auf Kosten der amerikanischen Industrie reicher gemacht; die Armeen anderer Länder finanziell unterstützt, während wir unsere eigene Armee ausgehungert haben. Wir haben die Grenzen anderer Länder verteidigt, aber uns geweigert, unsere eigene zu verteidigen.« Weniger öffentlich, weniger laut war solche Kritik auch schon aus der Obama-Regierung zu vernehmen.

Trumps Kritik an der Verlagerung von Industrien aus ihren Stammländern in Niedriglohngebiete deckt sich in Teilen sogar mit jener von Globalisierungskritikern: »Eine Fabrik nach der anderen schloss und verließ das Land, ohne auch nur einen Gedanken an die Millionen und Abermillionen amerikanischer Arbeiter zu verschwenden, die zurückgelassen wurden. Der Reichtum unsere Mittelklasse ist von ihr gerissen und in der ganzen Welt verteilt worden.«

Dabei ist es weniger das Los der entlassenen Arbeiter oder der verunsicherten Mittelschichten, das den milliardenschweren Präsidenten antreibt, als sein instinktives Gespür für die Gefahren, die aus der Verweiflung und dem Elend von Massen für das System erwachsen können. Wie ein Seismograph hat der erfahrene Moneymaker die Risiken des aktuellen politischen Kurses erkannt und sich selbst an die Spitze der Gegenbewegung gestellt, um das Schlimmste zu verhindern. Denn eins ist gewiss: Am kapitalistischen Profitstreben will ein Donald Trump nichts ändern; ihm geht es um die Verschiebung der Lasten auf andere zugunsten des eigenen Landes: America first!°

Die weitgehende Schlüssigkeit von Trumps Diagnose der Situation geht deshalb einher mit einer brutalen Therapie, auf die vor allem der total überraschte »Westen« keine Antwort hat, aber auch andere geopolitische Akteure nicht. Vor allem daraus erwachsen große Gefahren für das globale Gleichgewicht, die ein schnelles Umdenken in zahlreichen Regierungszentralen erfordern. Schon hat Trump ehemals eherne Pfeiler des internationalen Gebäudes wie die Ein-China-Politik oder die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt in Frage gestellt; weitere tiefgreifende Korrekturen in schneller Folge sind nicht auszuschließen. Auf ein Merkelsches »regelbasiertes, auf gemeinsamen Werten beruhendes, gemeinsames Agieren« wird sich Trump nicht festlegen lassen, sondern selbstbewusst die Tagesordnung bestimmen. Wer dann nicht mit einer durchdachten Agenda gegenhalten kann, ist schon auf der Verliererstraße.