»Unterleuten« – endlich mal kein Tatort, sondern ein Konfliktherd

(pri) Es ist die große Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dass es sich endlich einmal des realen Lebens seiner Zuschauer annimmt und einen echten Gegenwartsstoff in die Wohnzimmer flimmert. In der DDR waren derartige »Fernsehromane« trotz ihrer ideologischen Didaktik Straßenfeger, weil sie Fragen des Hier und Damals behandelten; das aktuelle Fernsehen hingegen wagt solche komplexe Sichten allenfalls in vergangene Zeiten und suggeriert uns statt dessen Abend für Abend (und oft am Tag noch mehrfach), dass unser Leben überwiegend aus Kriminalfällen bestehe, wobei der Drang nach vermeintlicher Originalität inzwischen immer absurdere Plots gebiert. Und kaum einer der Autoren und Produzenten macht sich Gedanken darüber, ob nicht auch diese ständige Konfrontation mit dem Verbrechen, noch dazu in immer größerer Nähe – ob auf Usedom, im Erzgebirge, in Rosenheim, Ostfriesland, dem Spreewald, im Schwarzwald, am Bodensee, in Wismar, Stralsund und im Taunus – zur wachsenden Verunsicherung der Zuschauer in ihrem täglichen Leben beiträgt.

Da ist es tatsächlich wohltuend, wenn der Regisseur Matti Geschonnek, in der DDR sozialisiert und solide ausgebildet, und sein Drehbuchautor Magnus Vattrodt den Roman »Unterleuten« von Juli Zeh zunächst geradezu betulich für den Bildschirm adaptieren und ihr hochkarätiges Schauspieler-Ensemble ein Brandenburger Dorfleben vorführt, in dem sich viele unschwer wiedererkennen können. Die Konflikte kristallisieren sich da – wie in wohl jedem dörflichen Lebensraum mit seinen spezifischen Eigenarten – schnell heraus; sie machen die beschauliche Siedlung zum Konfliktherd, in dem es brodelt und rumort. Das aber bleibt beherrschbar, dient eher der Unterhaltung und – mehr oder minder – Erbauung der Dörfler. Bis irgendwann etwas von außen in diese Lebenswelt hineinstößt, das fast alle vor Entscheidungen stellt, die natürlich nicht unberührt sind durch das allmählich gewachsene dörfliche Biotop mit seinen zahlreichen Verästelungen.

In Unterleuten ist dieses Fremde von außen nichts weniger als der Kapitalismus mit seiner plötzlichen Verlockung, mit dem wenigen und bis dahin anscheinend fast Wertlosen, das man noch besaß, eigene Interessen durchsetzen zu können – einschließlich jenes unsterblichen menschlichen Dranges, alte Rechnungen zu begleichen. Als am Ortsrand zehn Windräder aufgestellt werden sollen, teilt sich das Dorf flugs in Für und Wider, und dieser Gegensatz eskaliert rasch, freilich zügig vorangetrieben von den Fernsehmachern, die die Bedürfnisse des Genres kennen, ihnen aber schon ab Teil 2 und vor allem am allzu blutigen Schluss etwas zu hingebungsvoll unterliegen. Zum Glück jedoch widerstehen sie andererseits allzu weitgehender Psychologisierung selbst dort, wo sie die Romanvorlage nahelegt und verlieren die eigentlich sozialen Widersprüche nicht aus den Augen.

Hatten sich in Unterleuten die Leute jahrzehntelang arrangiert und – manchmal mit der Faust in der Tasche – ein verträgliches Zusammenleben organisiert, so zerstörte die neue, die kapitalistische Gesellschaft des verordneten Egoismus diese zwar fragile, aber tragfähige stillschweigende Übereinkunft. Und gleichzeitig wird klar, dass von der nun gültigen neuen Ordnung niemand der Protagonisten profitiert. Der Umweltbewusste verliert spätestens seine Unschuld, als er resigniert das brutale Kampffeld verlässt. Der vormalige Großbauer, einst ein geachteter LPG-Vorsitzender, scheitert als skrupelloser Unternehmer – und seine willigen Werkzeuge mit ihm. Die clevere Start-up-Lady zahlt mit persönlichem Lebensglück und muss von vorn beginnen. Und der Klassenkämpfer aus DDR-Zeiten kann zwar beim Untergang seiner Gegner zusehen, verliert aber damit auch, was seine Heimat war. Selbst der Spekulant aus dem Westen geht leer aus, was ihn – im Unterschied zu den Unterleutenern – allerdings nur ein Schulterzucken kosten dürfte.

So wurde der Dreiteiler »Unterleuten« über weite Strecken zu einer Parabel für den Transformationsprozess im Osten und was er aus den Menschen macht. Er illustriert an Einzelschicksalen, was zu Unzufriedenheit, Ängsten, Wut und Aggressionen im allgemeinen geführt hat und führt und liefert somit eine plastische Diagnose aktueller Zustände, verbunden mit der Aufforderung, über ihre politischen Weiterungen intensiver nachzudenken.

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