Zum Standort von CDU und CSU: Wenn der Feind verloren geht …

(pri) Es waren keine 24 Stunden seit Annegret Kramp-Karrenbauers Ankündigung ihres Verzichts auf eine Kanzlerkandidatur und des Rücktritts vom CDU-Vorsitz vergangen, da war das Hauen und Stechen in der Partei bereits in vollem Gange. Die Werte-Union sah sich sofort im Aufwind. »Wir wissen, dass wir als Konservative und Wirtschaftsliberale, die sich in der Werteunion organisiert haben, wichtig für die Partei sind. Ohne uns wird die Partei zukünftig keine Wahlen gewinnen können«, sagte ihr Vorsitzender Alexander Mitsch. Und löste sofort empörte Reaktionen aus. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans bezeichnete ein Bekenntnis zu der Gruppierung als »eine Beleidigung für alle CDU-Mitglieder«. NRW-Innenminister Herbert Reul zeigte sich beunruhigt, »dass die Kräfte, die die Partei bereits mit ihren Debatten nach der Flüchtlingsdiskussion um Prozentpunkte gebracht haben, jetzt wieder mit ihren Querelen Erfolg haben«. Und die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) verlangte, die »Unvereinbarkeit« zwischen einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Werteunion und der CDU »durch einen Beschluss deutlich zu machen«.

Aber dies Geplänkel dürfte nur der Vorgeschmack für die jetzt in der Union anstehende Auseinandersetzung über ihren künftigen Kurs sein – geht es dabei doch um nicht mehr und nicht weniger als um eine Grundsatzfrage, die weit über alle personellen und strukturellen Überlegungen hinausreicht, die jetzt auch deshalb in den Vordergrund geschoben werden, um dieser Grundsatzfrage auszuweichen. CDU und CSU müssen sich entscheiden, ob sie künftig noch Parteien sein wollen, die sich einer imaginären politischen Mitte zugehörig fühlen, oder ob sie sich ins rechte Spektrum einordnen.

Ein religiös begründeter Antikommunismus gehörte jahrzehntelang zu den geistigen Fundamenten der Unionsparteien; für die Probleme heute ist er nicht mehr der geeignete Kompass.

Lange schien diese Frage geklärt, denn an den Rändern der politischen Mitte standen die Feinde – unappetitliche Rechtsextremisten, die lange in Springerstiefeln und mit Reichskriegsflaggen daher kamen, und Linksextremisten in Gestalt unverbesserlicher Kommunisten im eigenen Land und der Mauerbauer und Stasibüttel jenseits der Demarkationslinie im Osten. Nicht nur, aber auch gegen letztere waren die Unionsparteien nach 1945 gegründet worden, in einer Zeit, da der Sozialismus als Folge des faschistischen Krieges bis in die Mitte Europas vordrang. »Christus oder Marx«, so wurde damals die Alternative formuliert; dieser religiös begründete Antikommunismus gehört zur DNA von CDU und CSU – und war letztlich auch erfolgreich, indem sich in der Bundesrepublik der Kapitalismus unangefochten durchsetzte und die DDR von der Bildfläche der Weltgeschichte verschwand.

Damit jedoch ging den Unionsparteien auch der Feind verloren. Denn die verbliebenen Kommunisten in Ost und West häuteten sich in Etappen zur Linkspartei, fügten sich ins demokratische System der Bundesrepublik ein und spielen dort zunehmend eine konstruktive Rolle. Aktuelles Beispiel dafür ist Thüringen, wo die Linkspartei mit kluger Politik die letzte Landtagswahl in überzeugender Weise gewann, allerdings die Koalition mit SPD und Grünen wegen deren Schwäche ihre bisherige Mehrheit verlor.

Nicht dies jedoch verhinderte die Bildung einer handlungsfähigen Landesregierung, sondern das antikommunistische Dogma der CDU im Bunde mit der FDP; mehr noch, es ermöglichte gar die Installierung eines Ministerpräsidenten mit Hilfe des einst ebenso geschmähten, nun aber willkommenen äußersten rechten Randes. Dort hatte sich nämlich – und nicht nur in Thüringen – ein Veränderung dergestalt vollzogen, dass zu den Rechtsextremen und offenen Faschisten etliche der »schwer Konservativen« (O-Ton Joachim Gauck) aus der Union gestoßen waren, die dieser extremistischen Partei den Anschein von Bürgerlichkeit geben und sie damit für breitere Kreise wählbar machen sollten. Im Westen korrespondierte dies bestens mit jahrzehntelang anerzogenen antikommunistischen Grundeinstellungen. Im Osten entdeckten jene, die schon immer rechts dachten, bislang aber nur in der CDU politisch wirksam werden konnten, in der AfD ihre eigentliche Heimat und werben heftig um ein Zusammengehen.

Siegesüberschwang und Selbstgerechtigkeit hinderten viele Politiker der CDU und CSU daran, diese Entwicklungen nüchtern zu analysieren und ihre Parteien rechtzeitig darauf einzustellen. Lediglich Angela Merkel, in der DDR sozialisiert und mit den Folgen ehern zementierter Dogmen vertraut, erkannte wohl die Gefahr und versuchte, die Union vorsichtig zu reformieren, was ihr prompt den Vorwurf der Sozialdemokratisierung einbrachte. Dabei rührte sie nicht einmal an das antikommunistische Prinzip; auch der Verweis auf christliche Werte, zum Beispiel im Umgang mit Flüchtenden, machte sie schon verdächtig.

So war ihre Flucht aus dem Parteivorsitz Ende 2018 ein Eingeständnis des Scheiterns; nun sollte eine Westdeutsche die notwendige Neuausrichtung bewerkstelligen, doch Annegret Kramp-Karrenbauer war selbst zutiefst in überholt-konservativem Denken verhaftet und versuchte den Brückenschlag nach rechts – ihr Agieren eine Kette von Misserfolgen. Denn die Wahlverluste von CDU wie CSU seit der letzten Bundestagswahl sind weniger das Ergebnis mangelnder Profilierung auf der Rechten, als vielmehr Resultat des Fehlens von Realpolitik, die die wachsenden Probleme im sozialen Bereich, auf ökologischem Feld, bei der Infrastruktur und anderswo mutig angeht und nicht in ideologischen Grabenkämpfen verharrt.

Für CDU und CSU rächt sich jetzt, dass sie sich auf die Veränderungen der letzten 30 Jahre nicht rechtzeitig einstellten.

Bislang hat die Union als Ganze bezüglich des Verhältnisses zu ihren politischen Konkurrenten unterschiedlicher Couleur noch keine einheitliche Position gefunden. Gleichwohl mehren sich Stimmen der Nachdenklichkeit, selbst in Bayern, wo bei der Landtagswahl 2018 170 000 Wähler von den Christsozialen zu den Grünen wechselten und seither Ministerpräsident Markus Söder als rechter Lautsprecher kaum noch in Erscheinung trat. In Thüringen halten 70 Prozent der Wähler Bodo Ramelow für einen guten Ministerpräsidenten, auch mehr als die Hälfte der CDU-Anhänger. Man wird sehen, was die Abgeordneten daraus für Schlüsse ziehen.

Angela Merkel hat die ihren schon gezogen. Sie berief einen neuen Ost-Beauftragten – statt des Thüringer AfD-Sympathisanten Christian Hirte den Sachsen Marco Wanderwitz, der AfD-Politiker schon mal ungeniert als »reinrassige Nazis« apostrophierte und Alexander Gauland »giftigen Abschaum« nannte. Am bisherigen antikommunistischen Konsens der CDU will er festhalten, bezeichnete aber die Minderheit für die »unzweifelhaft demokratischen Parteien« in Thüringen als Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, womit »man umgehen« müsse. »Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit« übrigens angeblich ein Zitat des erklärten SPD-Antikommunisten Kurt Schumacher.

(Eine leicht gekürzte Fassung erschien in: »Neues Deutschland« vom 15.02.2020)

 

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