Zurück zur großen Koalition. Weil die SPD-Reprise zum Schmierentheater wurde

(pri) Die SPD will bei der nächsten Bundestagswahl ihren Überraschungserfolg von 2021 wiederholen, doch die geplante Neuinszenierung ist bereits durchgefallen – und nicht nur wegen Olaf Scholz.

Es brauchte nur vier, fünf Wochen, dann war sie dahin – die Illusion, mit der Neuinszenierung eines Erfolgsstücks noch einmal einen Triumph zu feiern. Heute präsentiert sich die SPD nur als verzagte, ratlose Partei, die nicht weiß, wie sie aus dem andauernden Umfragetief herauskommen soll. Die seit Jahren immer mehr ihrer Mitglieder verliert, zuletzt in einem Jahr fast 15000. Die sich mit ihren Projekten im Koalitionsvertrag immer weniger durchsetzen kann und das fatalistisch hinnimmt. Die ihre Fraktionsklausur hinter verschlossenen Türen absolviert, verschlossen selbst für die Mitarbeiter der Abgeordneten, die dort zwar dem Kanzler die Leviten lesen, was die Parteivorsitzende Esken nichtssagend als »sehr solidarisch, sehr angemessen, sehr beseelend« schönredet, aber ihren Vorsitzenden-Kollegen Klingbeil denn doch zu der hilflos-resignierten Trotzhaltung veranlasst: »Der Kanzler ist Olaf Scholz, und wir gehen mit ihm in den nächsten Wahlkampf.«

Linke Politik mobilisiert SPD-Wähler

Noch Mitte Dezember hatte man versucht, mit einer Reprise, also der Wiederholung der Erfolgsgeschichte von vor drei Jahren, die Wende zu erzwingen. Warum sollte nicht glücken, was damals gelang. Denn auch im Sommer 2020, als die SPD vor der ein Jahr späteren Bundestagswahl ihren Kanzlerkandidaten kürte, lag sie in Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen, von der auch die folgenden hier präsentierten Zahlen stammen, bei 14 Prozent, 24 (!) Punkte hinter der Union. Kaum ein Sozialdemokrat konnte da an einen Wahlsieg glauben. Zwar hatte sich die Partei ein halbes Jahr zuvor eine neue Richtung gegeben, indem sie der jahrelangen Großen Koalition abschwor und mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein eher linkes Gespann mit der Führung betraute. Und beide gingen denn auch, wärmstens unterstützt vom damaligen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, mit einem linke Zielstellungen betonendem Programm in den Wahlkampf, was viele Sozialdemokraten und ihre Wähler lange schmerzhaft vermisst hatten.

Dennoch schien es unmöglich, den Unionsvorsprung aufzuholen, weshalb vor allem die CDU mit einer Koalition mit den Grünen liebäugelte, zumal sich diese mit Robert Habeck und Annalena Baerbock bereits 2018 eine realpolitische Führung gegeben hatten, die sich für solche Avancen offen zeigte. Aber das Unwahrscheinliche geschah. Die Verheißung einer stärker linken Politik seitens der SPD ließ ihre demoskopischen Werte zwar nur langsam steigen, was wohl vor allem am Kanzlerkandidaten Olaf Scholz lag, der jenseits seiner eigenen Juso-Tage nie als besonders links aufgefallen war – im Gegenteil, als SPD-Generalsekretär hatte er 2003 für die Streichung des Begriffs »demokratischer Sozialismus« aus dem SPD-Programm geworben. Da jedoch die Zustimmung zur Union, die nach 16 Jahren auf Angela Merkel verzichten musste, dramatisch sank, betrug der Abstand schon im Juli 2021 nur noch 12 Prozent und war einen Monat später ganz aufgeholt.

Damit hatte sich wiederholt, was schon vier Jahre zuvor Martin Schulz gelungen war. In ihm und seinem Wunsch nach eigener »Beinfreiheit« nach links sah das Parteivolk 2017 einen Hoffnungsträger – aber nur kurzzeitig, denn die rechte Parteiführung fing den Kandidaten in der Furcht, er könne es ernst meinen, schnell wieder ein und sabotierte einen Wahlkampf mit echten Alternativen. Eine solche Korrektur gelang den Parteirechten 2021 wegen der neuen Machtverhältnisse in der SPD nicht, die Walter-Borjans/Esken-Führung aber akzeptierte die damalige Popularität von Olaf Scholz beim Wahlvolk, zunehmend auch in der Sozialdemokratie, und setzte pragmatisch auf die Karte, die den besten Stich zu machen versprach, auch wenn sie ihr vielleicht nicht gefiel.

Damit gewann die SPD tatsächlich die Wahl – auch wegen schwerer taktischer Fehler der Union. Doch der Sieg war mit 1,6 Prozentpunkten vor CDU und CSU nur knapp, und die Sozialdemokraten brauchten zum Regieren außer den ohnehin ins liberale Terrain driftenden Grünen auch noch die FDP. Für Olaf Scholz war das von Anfang an eine günstige Ausgangslage, wollte er den bis dahin widerwillig mitgetragenen Linkskurs der SPD-Führung zur Mitte hin korrigieren. Dennoch musste er sich zunächst auf einen Koalitionsvertrag einlassen, in dem wesentliche Forderungen der SPD (Mindestlohn, Bürgergeld, Pflegebonus, Wohnungsbau) enthalten sind, aber auch die FDP ihre wichtigsten Ziele (Schuldenbremse, Straßenbau, private Altersvorsorge) durchsetzen konnte.

Anti-linkes Gegenkonzept des Kanzlers

Als aber gute zehn Wochen nach Scholz‘ Amtsantritt als Bundeskanzler Wladimir Putin die Ukraine mit einem Angriffskrieg überzog, antwortete er unter dem Schlagwort der Zeitenwende mit einer Neubestimmung des politischen Koordinatensystems der Bundesrepublik – zunächst in der Außenpolitik, aber heute wissen wir, dass dies Konsequenzen auf fast allen Feldern der Politik hat. Scholz nutzte die mit der russischen Aggression entstandene Chance, in einer Überrumpelungsaktion seine Partei auf einen neuen Kurs festzulegen und damit zugleich die Differenzen zu den beiden schon länger in diese Richtung marschierenden konservativeren Koalitionspartnern zu minimieren.

In der SPD regte sich nur zaghaft Widerstand; nach wie vor gilt dort die Regel, eine sozialdemokratisch geführte Regierung nicht aufs Spiel zu setzen und dazu auch dicke Kröten zu schlucken. Anders hingegen bei der SPD-Wählerschaft. Nach dem ersten Schock über den Krieg in Europa begann im Frühjahr der demoskopische Abwärtstrend der Sozialdemokraten, während Union und Grüne zulegten. Schon im August 2022 erreichte die SPD lediglich 19 Prozent Zustimmung und kam darüber nur noch temporär hinaus. Auch die Grünen schwächeln inzwischen nach einem kurzen Hype, von der FDP mit ihrer Nähe zur Fünf-Prozent-Marke ganz zu schweigen. Derzeit hat die Ampelkoalition nur noch 31 Prozent der Wählerstimmen hinter sich – exakt genau so viel wie CDU und CSU. Keine guten Aussichten für die Wahlen in zwei Jahren.

Deshalb entschlossen sich die Sozialdemokraten bei ihrem Dezember-Parteitag in Berlin dazu, es mit einer Reprise des Erfolgsstücks von 2021 zu versuchen. Nicht nur, dass in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner plötzlich wieder klassenkämpferische Töne zu hören waren, nicht nur, dass der Kanzler versprach, einen »Abbau des Sozialstaats« werde es nicht geben (was die FDP allerdings flugs so interpretierte, so etwas wie einen Rückbau schlösse das doch gar nicht aus), SPD-Generalsekretär Kühnert versprach sogar, die SPD könne den Platz der bisherigen Linkspartei im Bundestag besetzen, denn: »Das ist unser politisches Terrain.«

Dem Parteitag gefiel die Neuinszenierung, wohl nicht nur aus Kalkül, sondern ehrlichen Herzens. Endlich wurde die sozialdemokratische Seele mal wieder ein wenig gestreichelt. Mehr aber auch nicht, denn darauf folgte nichts als das gewohnte »Business as usual«. Kaum geeignet, um an der Wahlurne zu vergessen, wie immer weniger von den Versprechungen des einstigen Wahlprogramms eingehalten wurde. Und auch nicht, welch zwiespältige Rolle der von ihnen gewählte Kanzler dabei spielte.

Ampel scheitert an ihrem Geburtsfehler

Sowohl aus strukturellen wie aus subjektiven Gründen ist die SPD in der Ampelkoalition nicht in der Lage, eine tatsächlich linke Politik zu verfolgen. 2021 hatte sie der Fortführung der Großen Koalition eine Absage erteilt und befand sich schon in einer Art Opposition, was ihr eine deutliche Abkehr vom bisherigen Kurs ermöglichte. Jetzt aber führt sie die Koalition selbst und muss auf ihre konservativeren Partner Rücksicht nehmen, was sich aktuell gerade wieder bei den Kompromissen in der Haushaltsfrage zeigt, die in erheblichem Maße zu Lasten der SPD-Klientel gehen. Dennoch wirbt die einst so auftrumpfende »linke« Führung der Partei dafür, Abstriche auch im Sozialen zu akzeptieren. Ein Bündnis, in dem sich die Interessen der Parteien objektiv teils diametral entgegenstehen, konnte nicht funktionieren – und tat es fast von Anfang an nicht. Die Ampel scheitert an ihrem Geburtsfehler. Inzwischen haben sich die Konflikte so zugespitzt, dass Neuwahlen im Gespräch sind.

Während die FDP unerbittlich auf einen weitgehend »entfesselten« Kapitalismus setzt, würden die Grünen diesem gern einige bürokratische Zügel vor allem in der Klimafrage anlegen, ohne ihn jedoch selbst in Frage zu stellen. In der Praxis erweist sich jedoch, dass Klimaschutz ohne soziale Flankierung nicht zu haben ist. Denn in dem Maße, wie die Transformation in einer klimagerechte Gesellschaft mit sozialen Einbußen verbunden wird, sinkt die Bereitschaft der Betroffenen, sich darauf einzulassen. Der ursprünglich durchaus fortschrittlicher Ansatz der Grünen läuft deshalb ins Leere, weil er bei der Umsetzung die Grenzen kapitalistischen Wirtschaftens nicht überschreitet, also die Besitzenden, die Eigentümer der Produktionsmittel nicht entschlossen in die Pflicht nimmt. Die Grünen betreiben damit in der Ampel letztlich objektiv das Geschäft der FDP, auch wenn sie sich subjektiv dagegen zu wehren versuchen.

Der objektiv progressivste Teil der sogenannten Fortschrittskoalition müsste angesichts ihrer Geschichte die SPD sei. Sie kann es aber nicht – zum einen wegen des genannten strukturellen Dilemmas, zum anderen aber auch aufgrund der Person des Kanzlers, der sich gerade dieser Geschichte nicht ausreichend verpflichtet fühlt, sondern vielmehr – wie Stephan Hebel im »Freitag« schrieb – »dieses unmögliche Bündnis in sich selbst personifiziert. An vielen Stellen will er offensichtlich nicht viel mehr, als im Rahmen der Ampelkoalition möglich ist«. Olaf Scholz hat damit qua Amt eine 2021 angepeilte Linksorientierung der Sozialdemokratie wirksam unterbunden.Hinzu kommt, dass er auch intellektuell und hinsichtlich seiner kommunikativen Fähigkeiten überfordert ist – seine hilflosen, oft gar blamablen Auftritte vor den Fernsehkameras zeigen das unerbittlich. Aber die SPD-Führung steht in Nibelungentreue zu ihm, ungeachtet der absehbaren Folgen.

Die Reprise mutierte damit zum Schmierentheater; die Neuinszenierung ist schon jetzt durchgefallen. Sie vermochte bei Wählerinnen und Wählern keine Wende zu erzwingen, die SPD liegt – schlechter noch als im Sommer 2020 – bei 13 Prozent, 18 Punkte hinter CDU und CSU. Und der inzwischen neu aufgebrochene Streit in der Koalition verheißt weiteren Abstieg, Licht im Tunnel ist nirgends sichtbar. So scheint alles darauf hinauszulaufen, dass bei künftigen Wahlen, wann immer sie stattfinden, die Rückkehr zu erneuter großes Koalition droht – wieder unter Führung der Union. Aber vielleicht ist genau dies das Ziel von Olaf Scholz, und er hofft dann wohl sogar auf eine Wiederverwendung in einem künftigen Team Merz; die Berliner SPD-Statthalterin Franziska Giffey hat die Unterwerfung ja bereits vollendet vorgemacht.

(Dieser Beitrag ist die aktualisierte Fassung eines Textes, der am 27. Dezember 2023 online in der »Berliner Zeitung« veröffentlicht wurde.)

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