Hessisches Remis wird vertagt

Man kann über Roland Koch denken, was man will, doch die Tatsachen darf man darüber nicht ignorieren. Und die besagen schlicht, dass wenn vielleicht auch nicht er, so doch seine CDU die Wahlen in Hessen gegen die SPD gewonnen hat, und sei es mit der hauchdünnen Mehrheit von 3595 Stimmen = 0,1 Prozent. Und wenn man gar den von beiden Seiten ausgerufenen Lagerwahlkampf zugrunde legt, dann ist der Abstand schon deutlich größer und beträgt im Landtag zwei volle Sitze für Schwarz-Gelb, denn die Grünen blieben um mehr als 50000 Stimmen hinter der FDP zurück. Da sollte es sich Andrea Ypsilanti verkneifen, den Schröder zu machen, der seine knappe Niederlage bei der letzten Bundestagswahl auch nicht akzeptieren wollte und aufhören, von Koch das Eingeständnis einer nicht vorhandenen Wahlniederlage zu verlangen. Auch SPD-Chef Kurt Beck scheint ziemlich vergesslich zu sein; sonst würde er nicht posaunen, er würde bei einer solchen klaren Niederlage nicht weitermachen, wo doch der letzte SPD-Kanzler gerade das bei einer tatsächlichen und deutlicheren Niederlage versuchte. Dass der hessische Amtsinhaber ohne jede Skrupel mit dem zwar moralisch niederschmetternden, zahlenmäßig jedoch gerade noch ausreichenden Ergebnis »brutalstmöglich« an seinem Sessel festklebt, musste man von Koch erwarten. Er spielt erst einmal auf Zeit und sondiert, was aus dem Debakel vielleicht doch noch zu machen ist.

Dass die Herausforderin jetzt die Früchte ihres Erfolgs nicht ernten kann, hat sie eindeutig sich selbst und ihrer Partei zuzuschreiben. Im Willy-Brandt-Haus ging die verbohrte Sturheit gegenüber der Linken und vor allem die Person Oskar Lafontaines so weit, dass niemand vorurteilsfrei untersuchte, inwieweit die für den Westen lange angenommene Abneigung gegen eine politische Rolle der Partei links vom eigenen Standort tatsächlich noch vorhanden ist. Sonst hätte man längst gemerkt, dass fast zwanzig Jahre nach der Wendezeit die Distanz schwindet, nicht zuletzt aus rein demografischen Gründen. Für immer mehr Menschen ist die SED Vergangenheit; deren Nachfolgepartei, die heute Die Linke heißt, verbinden sie weniger mit Mauer und Stacheldraht als mit einem Personal, das damit faktisch nichts mehr zu tun hat und mit Positionen, die Antworten auf die aktuellen Sorgen der Menschen zu geben versuchen. Mehr vielleicht noch als in Hessen aber dies die Wahlen in Niedersachsen gezeigt, einem bodenständigen, sich überwiegend konservativ verstehendem Land, in dem fast eine Viertel Million die Linkspartei wählten. Dass die alte Garde der Beck, Struck und Stiegler das nicht sehen will, verrät nichts als eitles Verharren in ideologischen Schützengräben und in nachtragendem Beleidigtsein, dass aber auch Andrea Ypsilanti nicht den Mut aufbrachte, sich einer solch rückwärtsgewandten Marschrichtung aus Berlin zu widersetzen, erstaunt gerade bei ihr ob solch politischer Unprofessionalität.

Denn wenn jemand dazu in der Lage gewesen wäre, in der Frage des Umgangs mit der Linken die SPD zu neuen Ufern und damit auch zu neuen machtpolitischen Optionen zu führen, dann sie als glaubwürdige Vertreterin des linken Flügels der Partei. Weil sie aber die Problematik unterschätzte oder aber – wahrscheinlicher – von der Berliner Zentrale diesbezüglich mit einem Denk- und Handlungsverbot belegt wurde, ist sie nun in einem Dilemma, das kaum auflösbar erscheint. Denn natürlich ist sie nun im Wort, und ein Umfallen würde ihr als Bruch ihrer Wahlaussagen angelastet werden – übrigens genauso wie der FDP deren Eintritt in einem Ampelkoalition, die die Freidemokraten vor der Wahl genauso entschieden ausgeschlossen haben wie Ypsilanti das Zusammengehen mit den Linken. Von diesen nun »staatsbürgerliche Verantwortung« einzufordern, die man selber nicht wahrnimmt, klingt ziemlich unglaubwürdig.

Mit diesem gravierenden Fehler in ihrer Bilanz bleibt Andrea Ypsilanti nun nicht mehr als abzuwarten und Koch samt der CDU auflaufen zu lassen. Ohne Mehrheit kann er keine substanziellen Beschlüsse fassen, also auch wenig Schaden anrichten. Seine Partei kann ihn aber auch nicht loswerden, denn für einen anderen Ministerpräsidenten fände sie keine Mehrheit. Insofern kann sich Ypsilanti zurücklehnen und abwarten – auch wie sich die Stimmungslage in der eigenen Partei verändert, auf die der Druck steigen dürfte, die vorhanden Möglichkeiten zum Regieren wahrzunehmen. Mit solcher Abwartetaktik hilft sie auch der Linken, die sich erst finden und positionieren muss – für den Zeitpunkt, da das Telefon endlich klingelt. Bis dahin jedoch ist das Remis vertagt.