SPD schickt Bundeswehr in innere Konflikte

Franz Müntefering lässt grüßen. Um sich nach seiner absehbaren Wahl zum alt-neuen SPD-Vorsitzenden Ende Oktober wieder bei der Union lieb Kind machen zu können, hat er eine der lange gehaltenen Bastionen der SPD räumen lassen: die bislang strikte Ablehnung eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren. Wie sehr die in Berlin mitregierenden Sozialdemokraten den Bruch eines weiteren Wahlversprechens – den sie bei sich stets für legitim halten, wie Müntefering bereits öffentlich zu Protokoll gab, bei ihren Untergliederungen, zum Beispiel in Hessen, aber harsch kritisieren – bewusst ist, zeigten die Nebelkerzen, die Fraktionschef Struck und andere in der SPD nach der Einigung mit CDU und CSU auswarfen. Es handele sich nur um Nothilfe in Katastrophenfällen, bei denen künftig die Bundeswehr eingesetzt werden solle, beschwichtigten sie und bauten wohl darauf, dass die Öffentlichkeit nicht lesen kann.

Denn genau dieser Fall ist bereits jetzt im Artikel 35 des Grundgesetzes klar und eindeutig geregelt, weshalb es einer Verfassungsänderung dafür nicht bedürfte. Die aber will seit langem die Union, um die Bundeswehr nach eigenem Belieben und letztlich ohne Einschränkung innerhalb der Landesgrenzen einsetzen zu können. Den ersten Schritt dahin will ihr die SPD jetzt eröffnen; denn die ungenaue und weit auslegbare Formel , die der neue Artikel 4 des Grundgesetz-Paragrafen 35 enthält, reißt alle bisherigen Beschränkungen nieder. Nirgends ist definiert, was unter einem »besonders schweren Unglücksfall« zu verstehen sei; manche Beobachter argwöhnen daher zu Recht, damit solle eine allgemeine Ermächtigung zum Einsatz von Militär auch gegen Demonstrationen oder massenhafte Grenzübertritte geschaffen werden.

Dass CDU und CSU noch einmal einen neuen Anlauf in diese Richtung machten, die die Väter des Grundgesetzes nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus bewusst verbaut hatten, hat seinen Grund darin, dass sie die Frage vor der nächsten Bundestagswahl noch klären wollten und wohl nicht damit rechnen, dass nach dem Urnengang 2009 die Aussichten dafür so gut stehen wie heute mit einem äußerst willigen Koalitionspartner. Weder das angestrebte Bündnis mit der FDP noch eine Jamaika-Koalition bieten ähnlich gute Chancen, den Paradigmenwechsel in einer wesentlichen Frage des Verhältnisses von Bürger und Staat herbeizuführen, und auch wenn vermutlich wieder nur die SPD für eine ausreichende Mehrheit unter Unions-Führung zur Verfügung steht, ist unsicher, wie sich nach absehbaren weiteren Verlusten der »Volksparteien« dann die Gewichte verteilen. Vielleicht aber erklärt sich die Eile von Schäuble und Co. auch nur daraus, dass man schon bald mit Massenprotesten geprellter Sparer rechnet, für die man gewappnet sein will.

Ansonsten verlief das Szenario wie immer. Erst wurde mit spektakulären Meldungen über einen angeblich im Anmarsch befindlichen, bis heute aber hierzulande nicht gesichteten »deutschen Taliban« und zwei angeblich auf frischer Tat ertappte Anschlagsplaner, die allerdings inzwischen wieder freigelassen werden mussten, die erforderliche Terrorangst erzeugt. Dann kam in einer Nacht-und Nebel-Aktion das Gesetz, für das Müntefering im Bundestag in bekannter Weise die Zwei-Drittel-Mehrheit organisieren wird, und schließlich wird Druck aufgebaut werden, um auch den Bundesrat zur Zustimmung zu zwingen. Wenn schon die große Koalition kaum noch konstruktiv arbeitsfähig ist, soll sie wenigstens noch ihr destruktives Potential entfalten.

One Reply to “SPD schickt Bundeswehr in innere Konflikte”

  1. Gerade noch zur „rechten“ Zeit wird nun also ein Gesetzesvorhaben durchs Parlament gepeitscht, das zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht nicht mehr (so leicht) möglich wäre: die Scheinlegalisierung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren mit grundgesetzlicher Absicherung.

    Man könnte beim derzeitigen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland mit einiger Berechtigung an die offenbar unaufhaltsam wieder näherrückenden „Weimarer Zeiten“ erinnern mit Weltwirtschaftskrach, Massenarbeitslosigkeit und einer zerbröselnden Demokratie in deutschen Vaterlanden. Unkenrufe bringen aber niemanden weiter, sondern führen höchstens zu einer self-fulfilling-prophecy, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Noch ist die Weltwirtschaft aber nicht kollabiert (wenn auch in einem kritischen Gesamtzustand befindlich), noch die Arbeitslosigkeit nicht bei lähmenden 30% angelangt (wenn auch in verschiedensten Ausprägungen indiskutabel hoch) und die demokratische Grundordnung noch nicht hinweggespült durch rechte Demagogen und preisgegeben von unfähigen Demokraten.

    Auch sind die von den schockartig sich abspielenden Ereignissen in Politik und Wirtschaft sich bedroht fühlenden Bevölkerungsmassen noch nicht auf die Straßen gegangen. Aber wenn es bei einer sich dramatisch zuspitzenden Finanzkrise mit weitreichenden Auswirkungen auf die Realökonomie doch zu panikartigen Verhaltensweisen und Massenprotesten etwa der um ihre Ersparnisse bangenden Sparer kommen sollte, stünde die Bundeswehr bereit, um „Ruhe und Ordnung“ wiederherstellen zu können.

    Die die Lunte an die demokratische Gesellschaft gelegt habenden „Finanzterroristen“ in Wirtschaft und Politik werden vor unkontrollierbarem Volkszorn jedenfalls ausreichend geschützt sein. Das dazu nötige „Ermächtigungsgesetz“ wird dieses Mal aber auch von der SPD mit unterzeichnet. Vom Volkswillen seit Jahren abgekoppelte und sich verselbständigt habende „Volksparteien“ brauchen nicht einmal einen skrupellosen Volksverführer, sondern kommen mit herbeigeredeten terroristischen Bedrohungsszenarien aus, um ein Zeitalter für einen neuen Wirtschaftsfaschismus in einem ausgebauten Sicherheitsstaat einzuläuten.

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