Manchmal klang es sogar ein wenig beleidigt, wenn in den letzten Tagen hierzulande über die Ereignisse in Iran berichtet wurde, zumindest jedoch sprachen Politiker und Medien gern von Überraschung – und gestanden damit ein, dass ihre Sicht auf die dortige Entwicklung in den vergangenen Jahren weniger von Sachkunde als von ideologischer Voreingenommenheit geprägt war. Obwohl der interessierte Beobachter ohne Schwierigkeiten eine zunehmende Differenzierung der iranischen Gesellschaft konstatieren konnte, ein neben der streng über einem traditionellen Islam wachenden Geistlichkeit sich zügig ausbreitendes Selbstbewusstsein, das sich zunehmend öffentlich Gehör verschafft und alte Dogmen der Mullahs in Frage stellt. Dieser neue Geist in Iran hatte schon in den letzten Jahren die Machthaber gezwungen, Schritt um Schritt von überholten Praktiken abzugehen und zum Beispiel ein Wahlrecht zu schaffen, das zwar immer noch Sicherungen enthielt, die mit tatsächlich demokratischen Prinzipien nicht vereinbar sind, aber eben doch auch die Möglichkeit einer »Wahl« zwischen verschiedenen, nicht identischen Positionen. Das machte das Land im von Diktaturen und Ein-Parteien-Herrschaften geprägten arabischen Raum sogar zu einer Art Vorkämpfer der Demokratie – was natürlich keiner der allein ideologisch urteilenden westlichen Staaten wahrhaben wollte. Gerade diese Entwicklung aber »zwang« die iranische Führung erst zu ihrem unverhohlenen Wahlbetrug, wollte sie ihre Macht erhalten – und sie ermöglichte den Iranern den Protest gegen ein Verfahren, das den Gesetzen des Landes widersprach.
Dieser Protest wird nun nicht mehr verstummen. Er macht klar, dass kein Volk der Belehrung durch fremde Mächte bedarf, wenn es um seine eigene Belange geht. Schon gar nicht wollen die Völker das, was andere ihnen als »Demokratie« anpreisen, auch noch mit Waffengewalt übergeholfen bekommen. Insofern sind die Vorgänge in Iran auch eine Antwort auf vergangene westliche Politik, die sich anmaßte – und anmaßt, besser als die Menschen vor Ort zu wissen, was sie brauchen. Während die gewaltsamen »Demokratie«-Missionen der USA und ihrer Verbündeten in Irak und Afghanistan in Blut und Elend versinken, greifen die Menschen in Iran entschlossen und phantasievoll selbst zum Taktstock, formulieren unmissverständlich ihre Erwartungen und belagern furchtlos die Straßen, um sie durchzusetzen. Sie wissen, dass es dabei Opfer und Rückschläge geben wird, aber am Ende doch keine Niederlage.
Und sie wünschen dabei auch keine Kommentare aus unberufenem Munde. Ihnen genügt die wahrheitsgetreue und umfassende Information der Welt über die Vorgänge in ihrem Land – ohne Ratschläge von außen. Der amerikanische Präsident hat das verstanden und sich bislang geweigert, mit Kriegsrhetorik auf die Vorgänge in Iran zu reagieren, auch wenn er unter dem Druck der Bush-Anhänger hin und wieder verbale Zugeständnisse an altes, gescheitertes Denken macht. In Europa hat er dabei leider keine Verbündeten gefunden. Bei Angela Merkel, die den Abgang der Bush-Clique noch immer nicht verwinden und sich vor allem von deren »Schurkenstaat«-Polemik nicht lösen kann, mag das nicht überraschen. Dass sich aber auch der SPD-Kanzlerkandidat bemüßigt fühlt, mit Blick auf den Wahlkampf der Kanzlerin nicht allein dieses verminte Feld zu überlassen und sich irgendwo in die Gegend zu stellen, um den Iranern ebenfalls ungebetene Ratschläge zu erteilen, ist mehr als ein Armutszeugnis.
Wie auch immer der gegenwärtige Machtkampf in Iran seinen Fortgang nimmt, das Land wird daraus gründlich verändert hervorgehen. Selbst in China, wo vor 20 Jahren eine ähnliche Protestbewegung blutig niedergeschlagen wurde, hat sich seither viel zum Positiven verändert – weil keine Führung auf Dauer über die Wünsche des Volkes hinweggehen kann. Sicher verläuft nicht alles nach den Wünschen abendländischer Politstrategen, aber darauf kommt es auch nicht an. Entscheidend sind die Wünsche und Hoffnungen der Menschen vor Ort. Und die artikulieren die Iraner gegenwärtig unüberhörbar; sie werden sie auch zur Wirklichkeit machen.
Wenn auf den „Rohrstock der Herrschenden“ die Völker der Welt immer nur so selbstbewußt und couragiert zum „Taktstock“ greifen würden wie gegenwärtig die Iraner, um der „Volksherrschaft“ zum Durchbruch zu verhelfen, brauchten sie künftig weder unter „Profit over People“ noch anderen die Rechte der Menschen unterdrückenden Regimen zu leben.