Als »Jazzneurotiker«, wie er in einem Vorbericht genannt wurde, produzierte sich Woody Allen bei seinem Klarinettengastspiel in der New Orleans Jazz Band dieser Tage in München, Hamburg und Berlin eher nicht. Denn stocksteif saß er erst einmal neunzig Minuten lang auf seinem Stuhl, schien zeitweise gar ein kleines Nickerchen zu halten, so unbeweglich war er, während seine sechs Kollegen ihre Improvisationen ablieferten. In Wirklichkeit hat er natürlich konzentriert gelauscht und dann den eigenen Part gespielt – quäkend, quiekend,. röhrend, piepsend, und manchmal glaubte man gar, er riefe eine ganzen Hühnerhof zusammen, so wie die Bäuerin am Abend, wenn sie den Stall abschließen will.
Dieser schräge Jazz, noch dazu aus dessen Anfangsjahren, ist es gewiss nur in zweiter Linie, was die Leute in seine Konzerte treibt, sogar für ausverkaufte Häuser sorgen lässt. Sie kommen natürlich zuerst wegen des Promis, des Kino-Stars, ob als Schauspieler oder Regisseur. Schließlich ist es Mode geworden, sich die Größen der Titelblätter und Schlagzeilen einmal aus der Nähe anzusehen. Woody Allen profitiert wie viele andere vom Starkult – auch da, wo die Leistung nicht spitzenmäßig ist. Aber er liefert wenigstens noch eine ab, begnügt sich nicht damit, seine schwarze Hornbrille nur auf dem roten Teppich spazieren zu führen – ganz im Unterschied zu manchen anderen, darunter vielen eingebildeten Promis.
Den selbsternannten Puristen der Jazzbeobachtung scheint allerdings nicht zu gefallen, dass da jemand seinen Markenkern ignoriert Sie schütten teilweise ätzende Häme über seinem Spiel aus. Doch gerade jene, die von Allen den artifiziell optimalen Klarinettensound verlangen, beweisen damit nur, dass sie am meisten dem Starkult verfallen sind und dem Motto huldigen: Einmal Star, immer Star. Für sie ist es undenkbar, dass jemand, der auf dem einen Gebiet zu schöpferischen Höchstleistungen fähig ist, sich anderswo dilettierend betätigt – einfach, weil er Gefallen daran hat, darin Entspannung sucht und findet, gerade weil kein Spitzenergebnis von ihm erwartet wird.
Woody Allen freilich ficht das kaum an. Er hat sich Jahrzehnte nicht von seinem dick schwarzgerandeten Sehgerät getrennt und erlebt heute, dass sich ein deutscher Ex-Vizekanzler just in dem Moment damit schmückt, als er eine neue Karriere zu beginnen versucht. Er wird auch seinem Jazzstil treu bleiben – nicht zuletzt darum, weil er inzwischen schon zur Jazzklassik gehört, was man auch dereinst nicht von jedem »Erneuerer« der Szene wird sagen können. Und weil man ihm auch im großen Konzertsaal seine Begeisterung für die Sache anmerkt – spätestens dann, wenn er zum Schluss dann doch vom Stuhl aufspringt und den dreißigminütigen Zugabenteil mit vollem Einsatz bestreitet – zwar nicht neurotisch, aber so skurril, wie er oft auch in seinen Filmen daherkommt. Und dafür dankt ihm sein Publikum mit stehenden Ovationen.