Angela Merkels Transformation vom Ossi zum Wessi

(pri) Eines Beweises bedarf es schon lange nicht mehr, dass Angela Merkel in der alten Bundesrepublik angekommen ist – und dennoch ist sie beinahe zwanghaft bemüht, ihn immer wieder neu zu führen. Gleich dreimal legte sich zum Beispiel in den letzten zwei Wochen ihre Hand für Christian Wulff ins Feuer, für einen westdeutsch par exzellence Geprägten also, weit entfernt von jedem ostdeutsch Sozialisierten.

Dabei hatte sie ganz bescheiden angefangen, und das auch lange durchgehalten. Noch Ende der 90er Jahre, gerade erst CDU-Generalsekretärin geworden, scheute sie sich nicht, das Unions-Denkmal Helmut Kohl ob seiner Verantwortung für den Parteispendenskandal ins Abseits zu stellen und sich so mit fast dem gesamten CDU-Establishment anzulegen. Auch die später bekannt gewordenen Verfehlungen Wolfgang Schäubles ahndete sie, nun aber wohl schon die eigene Karriere im Blick.

Der Wandel ihrer moralischen Überzeugungen zeichnete sich ab, als sie als Parteivorsitzende das Monument des Alt-Kanzlers zu restaurieren begann, obwohl dieser das Ehrenwort gegenüber seinen Geldgebern noch immer höher schätzt als die Wahrheit über illegale Geschäfte. Dieser Wandel wurde besonders augenscheinlich in der nassforschen Verteidigung des geistigen Betrügers Karl-Theodor zu Guttenberg. Und er ist jetzt bestätigt worden, als sie den katzbuckelnden Emporkömmling und Schnäppchenjäger Wulff nicht nur zum Staatsoberhaupt erkor, sondern den in seiner ersten wirklichen Bewährungsprobe Scheiternden auch noch einen »guten Bundespräsidenten« nannte.

Einen »Treppenwitz der Geschichte« nannte eine Zeitung diese Metamorphose; tatsächlich jedoch bildet sie nur eine Gesetzmäßigkeit ab. In diesem, dem alten bundesrepublikanischen, spießbürgerlichen System, dessen Werte zuerst ökonomisch definiert werden, kann nur etwas werden, der sie akzeptiert und entsprechend handelt, auch wenn er – oder sie – sie nicht selbst lebt. Demgemäß war es nur eine Frage der Zeit, dass sich auch eine wie Angela Merkel den Üblichkeiten dieses Systems unterwarf, bis hin zu ihrer regierungsamtlichen Zertifizierung.

Sie beruft sich dabei wohl auf die fast 80 Prozent der Bundesbürger, die noch kürzlich einen Rücktritt des Präsidenten ablehnten, obwohl fast jeder Dritte konstatierte, er habe an Vertrauen verloren. Ein aufschlussreicher Befund, verrät er doch die Erkenntnis, dass kaum einer gefunden würde, der nicht irgendwie angreifbar sei. Längst wissen die Menschen, dass auch dieser Kaiser, der sich so gern mit dem Glanz der Reichen schmückt, nackt ist. Jetzt hat er diese Nacktheit sogar detailliert beschrieben. Auch deshalb wohl mag ihm die Kanzlerin schöne Kleider jetzt nicht mehr bescheinigen. Die Feiertage wird die Ziehmutter dieses Staatsoberhauptes noch verstreichen lassen, dann könnten im Lichte der aktuellen Nachrichtenlage seine Tage endgültig gezählt sein …