(pri) Wie auch immer sich der SPD-Parteitag am Sonntag in Bonn entscheidet; er wird die Sozialdemokraten in eine Zerreißprobe führen, die sie am Ende die Existenz als gestaltende Kraft im Land kosten kann. Das gilt sowohl für ein Ja zur Koalition mit CDU und CSU als auch für ein Nein, denn inzwischen ist die Situation für die SPD insgesamt derart verfahren, dass sie ohne Blessuren nicht mehr aus ihr herauskommt.
Stimmt eine Mehrheit des Parteitages für die Groko III, dann bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger als die Fortsetzung eines Bündnisses, in dem die Partei immer nur verloren hat. Nach Schröder, Steinmeier und Steinbrück hat es auch Martin Schulz nicht vermocht, sein rhetorisches Wendemanöver des letzten Frühjahrs mit Substanz aufzufüllen. Seine Ankündigung eines Kurswechsels in Richtung soziale Gerechtigkeit fand nie ihre konkrete Ausgestaltung im Wahlkampf und führte am Ende nicht zu mehr Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie bei den Wählern, sondern im Gegenteil zu Enttäuschung und Verachtung, was sich im schlechtesten Wahlergebnis ihrer bundesdeutschen Geschichte niederschlug.
Nach der Wahl setzte er diese janusköpfige Politik fort: Große Ankündigungen und kleingeistige Taten. Weder konnten er und seine neue Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles die lauthals verkündete Oppositionspolitik plausibel machen noch erreichten sie auch annäherungsweise in der Sondierung die zuvor versprochene Abkehr vom Merkelschen »Weiter-So«– Kurs, sondern schwenkten im Gegenteil auf diesen ein und gingen vor allem vor der CSU in die Knie. Nichts, aber auch gar nichts spricht deshalb dafür, dass die SPD bei Koalitionsverhandlungen mehr herausholen könnte, als sie bereits weggegeben hat. Man muss stattdessen fürchten, dass sie noch weitere ihrer Positionen räumt, denn das war ihre Praxis in den Jahren der »Großen« Koalition. Mit Recht wurde sie dafür von den Wählern abgestraft. Und das dürfte sich fortsetzen; bereits jetzt sind ihre Umfragedaten deshalb im Sinkflug.
Gerade diese Situation, das sich ständig verschlechternde Image der SPD als einstiger Partei der kleinen Leute macht aber auch ein Nein zum neuen Bündnis mit den Unionsparteien zum Risiko. Denn inzwischen haben die Sozialdemokraten eine Führungsmannschaft, die ohne Wenn und Aber die bisherige Politik vertritt, die zwar über keine Argumente für ihr Tun verfügt, aber dennoch von der Richtigkeit ihres Handelns zutiefst überzeugt ist. Das erbarmungswürdige Bild, das Schulz auf der Pressekonferenz nach den Sondierungen abgab, sprach für sich. Konkrete Gründe für sein Urteil eines »hervorragenden Ergebnisses« fielen ihm nicht ein; ausgerechnet Horst Seehofer war es, der auf die mageren Verheißungen auf sozialem Gebiet verwies und sie natürlich sich selbst zurechnete. Und Andrea Nahles ersetzte Diskurs durch Diffamierung der Groko-Gegner und kündigte »Dagegenhalten« statt Darüberreden an. »In die Fresse« also, aber nicht des politischen Gegners, sondern der eigenen Genossen.
Von einer solcherart geführten SPD ist eine grundlegende Änderung ihrer Politik nicht zu erwarten. Sie würde in mögliche Neuwahlen mit den gleichen Positionen gehen, die sie auch im letzten Jahr vertreten hat und hätte kaum Aussichten auf eine Verbesserung ihrer Wahlergebnisse. Vielleicht würde sie sich von Schulz trennen und an seine Stelle Olaf Scholz setzen, einen weiteren, noch weniger glaubwürdigen Vertreter der alten Linie. Zu einer wirklichen Rückbesinnung auf die alten Werte der Sozialdemokratie, auf soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Engagement für die Schwachen scheint die SPD in ihrer heutigen Verfassung kaum in der Lage. Will sie eine wirkliche Zukunft haben, ist eine tiefgreifende Erneuerung erforderlich und damit eine lange Periode der Auseinandersetzung und Klärung von Positionen. Wer diese Arbeit leisten soll, ist derzeit noch unklar, denn die erforderlichen radikalen Lösungen scheuen selbst kritische Geister in der Partei. »Ganz egal, wie die Sache ausgeht, gibt es aber überhaupt keinen Grund, hinterher schwuppdiwupp mal eben das gesamt Spitzenpersonal auszutauschen«, sagt selbst der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, der sich an die Spitze der »No-Groko«-Fraktion gestellt hat, aber dennoch ein ganz braver Sozialdemokrat bleibt.