Rolf Hochhuth, Filbinger und die historische Wahrheit

Rolf Hochhuth – ein Kämpfer bis zuletzt

(pri) Vor einigen Tagen ist der Dramatiker Rolf Hochhuth im Alter von 89 Jahren gestorben. Er wurde berühmt, als 1963 sein Stück »Der Stellvertreter« auf die Bühne kam, eine Anklage gegen Papas Pius XII. und dessen Schweigen zum Holocaust. Dutzende weitere Stücke hat Hochhuth verfasst, und immer wieder beschäftigte er sich mit politischen Vorgängen, vornehmlich solchen, die verschleiert, verschweigen, umgedeutet werden sollten. Er galt als »Moralist und Mahner«; der die historische Wahrheit ans Licht bringen wollte – gegen alle Widerstände.

Und auf diese stieß er immer wieder; viele seiner Werke lösten juristische Auseinandersetzungen aus. Das gilt auch für die 1978 erschiene Erzählung »Eine Liebe in Deutschland«, in der er den damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Hans Filbinger beschuldigte, als Marinerichter noch nach Kriegsende Todesurteile gegen Matrosen gesprochen zu haben. Filbingers Unterlassungsklage wurde abgewiesen; nach immer neuen Beweisen musste er von seinem Amt zurücktreten. Das hinderte ihn allerdings nicht, immer wieder die historische Wahrheit zu leugnen; der nachfolgende Text, der am 4. Juli 1995 in der Zeitung »Neues Deutschland« erschien, belegt das ebenso wie Hochhuths nie erlahmenden Kampf gegen die Reinwaschungsversuche nazistischer Täter.

»Filbinger, nicht Mielke war es, der ‚Feuer!‘ gerufen hat«

Rolf Hochhuth bleibt dabei: Ex-Ministerpräsident war ein furchtbarer Jurist / Aufklärung ohne Stasi

 

Das Protokoll ist grausam nüchtern: »Die angetretene Einheit stand auf Kommando ‚Gewehr über‘ still. Der leitende Offizier las dem Verurteilten die Urteilsformel und die Bestätigungsverfügung vor. Der Verurteilte erklärte nichts. Der Geistliche erhielt letztmalig Gelegenheit zum Zuspruch. Das Kommando ‚Feuer‘ erfolgte 16.02 Uhr. Der Verurteilte starb um 16.04 Uhr. Die Leiche wurde durch das Wachpersonal eingesargt und zum Zwecke der Bestattung abtransportiert. Filbinger, Marinestabsrichter, Magerle, Marinejustizinspektor.«

So starb am 16. März 1945 der 22jährige Matrose Walter Gröger wegen Fahnenflucht. Hans Karl Filbinger hatte das Todessurteil verlangt. Nach dem Krieg machte der Militärjurist in der CDU Karriere und stieg zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg auf. Das damalige Urteil behinderte ihn auf diesem Weg ebensowenig wie drei weitere Todesurteile, die er zunächst bestritt und die nur deshalb nicht vollstreckt wurden, weil zwei von ihnen in Abwesenheit erfolgten und er das dritte – wegen Plünderei – selbst in zehn Jahre Zuchthaus umwandelte, die der Verurteilte aber nicht überlebte.

Todesurteile mit und ohne Folgen

Nach den Maßstaben, die bundesdeutsche Gerichte derzeit an die Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten der DDR anlegen, hätte Filbinger wegen Rechtsbeugung verurteilt werden müssen. Erst kürzlich erhielt die ehemalige DDR-Oberrichterin Helene Heymann fünf Jahre Gefängnis, weil sie in den 50er Jahren vier Todesurteile und weitere langjährige Zuchthausstrafen verhängte – gegen eine Spionin im Vorzimmer Grotewohls, gegen Wirtschaftssaboteure, die auch vor Gewaltmaßnahmen nicht zurückschreckten. Sie habe mit »menschenverachtender Strenge« geurteilt, warf ihr der Staatsanwalt vor. Und der Bundesgerichtshof verlangte in einem Verfahren gegen frühere Grenzsoldaten, »dass bei der Beurteilung von Taten, die in staatlichem Auftrag begangen worden sind, darauf zu achten ist, ob der Staat die äußerste Grenze überschritten hat, die ihm nach allgemeiner Überzeugung in jedem Lande gesetzt ist«.

Hans Karl Filbinger wurde solcher Rechtsauslegung nicht unterworfen; vielmehr bescheinigte ihm sogar das Stuttgarter Landgericht, er habe sich nicht strafbar gemacht, sondern in Übereinstimmung mit den 1945 geltenden Bestimmungen gehandelt, weder Rechtsbeugung noch Verfolgung Unschuldiger sei ihm v.orzuwerfen. Von Anfang an erklärte er seine Unschuld – nach der Devise »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein«.

Nicht Gerichte waren es also, die Filbinger anklagten, sondern ein Schriftsteller. Rolf Hochhuth veröffentlichte 1978 in der »Zeit« den Vorabdruck eines neuen Romans, in dem es hieß. »Ist doch der amtierende Ministerpräsident dieses Landes, Dr. Filbinger, selbst als Hitlers Marinerichter, der sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazigesetzen verfolgt hat, ein so ‚furchtbarer Jurist‘ gewesen, dass man vermuten muss – denn die Marinerichter waren schlauer als die von Heer und Luftwaffe, die vernichteten bei Kriegsende die Akten – er ist auf freiem Fuß nur dank des Schweigens derer, die ihn kannten.« Hochhuth bezog sich damit nicht auf die noch unbekannten Todesurteile, sondern auf einen Spruch Filbingers vom 29. Mai 1945. Drei Wochen nach (!) der deutschen Kapitulation verurteilte Filbinger im Gefangenenlager einen Obergefreiten, der das Hakenkreuz von Mütze und Uniform entfernt und Vorgesetzte als »Nazihunde« bezeichnet hatte – für den Richter »ein hohes Maß an Gesinnugsverfall« –, zu sechs Monaten Gefängnis.

Filbinger: Linke Kampagne

Sofort ging der damalige baden-württembergische Ministerpräsident vor Gericht, aber Hochhuth wies in weiteren Veröffentlichungen das Todesurteil nach, und das Gericht mußte ihm schließlich gestatten, die Begriffe »furchtbarer Jurist« und »Hitlers Marinerichter« weiter zu verwenden. Als auch die anderen Urteile bekannt wurden und sich Filbingers Leugnen als Lüge entlarvte, bröckelte die ursprünglich eiserne Solidarität seiner Partei ab; am 7 August 1978 trat er zurück. Dennoch blieb für ihn der Vorgang stets eine »Kampagne linksextremer Kräfte« bzw »linker Abschusskartelle«. Er verfaßte ein Buch: »Die geschmähte Generation«, in dem er die Vermutung äußerte, auch die DDR sei an seinem politischen Sturz beteiligt gewesen.

Jetzt hat Filbinger eine neue Phase seiner Reinwaschung eingeleitet. Sein Buch ist in dritter Auflage erschienen – mit dem zusätzlichen Aufdruck »Die Wahrheit aus den Stasi-Akten«. Der Stuttgarter Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder, einst enger Vertrauter des Ex-Ministerpräsidenten, erklärte, die Stasi habe »gefälschtes und verfälschtes Material in den Westen lanciert«. Für ihn steht fest: »Es kann Filbinger weder rechtliches Verschulden noch moralisches Versagen vorgeworfen werden«. Dieser selbst führt angebliche Zeugenaussagen früherer Stasi-Leute als Beweis an, so eine Bemerkung des Überläufers Werner Stiller oder die Passage im Buch »Auftrag: Irreführung« über die sogenannten aktiven Maßnahmen der Hauptverwaltung Aufklärung, die davon spricht, »Akten zu lancieren, aus denen hervorging, dass er als Marinerichter an drei Todesurteilen beteiligt war«.

Rolf Hochhuth kann auf solchen Selbstsäuberungseifer nur sarkastisch antworten. »Ich habe den .eindeutigen Nachweis«, sagte er gegenüber ND, »dass der Matrose Walter Gröger nicht von Erich Mielke erschossen wurde, sondern von Dr Filbinger. Er war es, der ‚Feuer!‘ gerufen hat.« Gerade deshalb dürfe er ihn weiterhin einen »furchtbaren Juristen« nennen. Dass die Stasi etwas zur Sache beigetragen hat, hält er für unwahrscheinlich. »Wenn sie solches Material gehabt hat, warum sollte sie mit seiner Veröffentlichung warten, bis ich zufällig einen Roman schreibe, in dem ich auch Filbinger anklage. Wäre da etwas gewesen, hätte sie gewiß mehr nachgeholfen. Ich habe die Entlarvung Filbingers vor allem dem ‚Spiegel‘ zu verdanken.« Und Hochhuth verweist auf eine eidesstattliche Erklärung, nach der er kein einziges Papier von der Stasi erhalten hat.

Für die Stasi ein Selbstläufer

Auch ehemalige Stasileute, die im Unterschied zu den dubiosen Zeugen Filbingers tatsächlich mit seinem Fall befasst waren, erklären, es habe sich dabei weitgehend um einen »Selbstläufer« gehandelt. »Wir haben in dieser Sache wenig gemacht«, so ein stellvertretender Leiter der zuständigen HVA-Abteilung. »Die Tatsachen sprachen für sich.«

Dennoch hindert das heute weder Filbinger noch andere Interessierte aus seiner Partei daran, sie ein wenig umzuinterpretieren – als ganz persönlichen Beitrag zur Umdeutung deutscher Geschichte.

Hans Filbinger blieb unbelehrbar. Drei Jahre später ging er juristisch gegen einen Artikel vor, der am 7. August 1998 im »Neuen Deutschland« an seinen Rücktritt vor 20 Jahren erinnerte und dem er »üble Nachrede« vorwarf. Aber die Berliner Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren ein, und das Kammergericht bestätigte diesen Bescheid. Auch das ist letztlich Rolf Hochhuth zu verdanken.

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