Am Sudan versündigt

(pri) Aus dem Sudan, einem der größten Länder Afrikas, kommen erneut alarmierende Bilder. Militärflugzeuge beschießen die Hauptstadt, in deren Wohngebieten, in den über fünf Millionen Menschen leben, finden Häuserkämpfe statt, von über 100  toten Zivilisten und mehr als 1000 Verletzten wird berichtet.

Schon lange ist der Sudan ein Staat, in dem Militärs um die Macht kämpfen und die Interessen der Bevölkerung ignorieren. Diese aber lässt sich in ihrem Drang nach freiheitlichen Rechten und einem Leben ohne Terror und Angst nicht aufhalten, weshalb es immer wieder zu Demonstrationen und Aufständen kommt, ungeachtet der brutalen Unterdrückung, mit der die Machthaber antworten. So auch 2018/19, als Massenproteste dazu führten, die langen Jahre der Schreckensherrschaft Omar al-Bashirs zu beenden. Seine Generäle putschten, allerdings mit dem Ziel, selbst die Macht zu übernehmen, weshalb sie die von ihnen eingesetzte Übergangsregierung, die demokratische Wahlen vorbereiten sollte, 2021 wieder absetzten. Jetzt geht es den beiden mächtigsten von ihnen, dem Armeechef Abdelfatah Burhan und dem Führer der paramilitärischen Formation RSF, Mohammed Hamdan Daglo, darum, die jeweils alleinige Herrschaft zu erringen.

Hiesige Kommentatoren interpretieren solche Vorgänge, die es auch in anderen sogenannten Entwicklungsländern gibt, gern als Beweis für die politische Unreife der dortigen Bevölkerung und Politiker. Sie blenden dabei gern die Verantwortung des weißen Westens aus, handelt es sich doch fast immer um ehemalige Kolonialgebiete, die bis heute bewusst in Abhängigkeit gehalten wurden und werden. Gerade der Sudan, eins der ersten Länder Afrikas, die ihre Unabhängigkeit erkämpften, ist dafür ein aufschlussreiches Beispiel. Bereits 1956 befreite sich das Land von britisch-ägyptischer Kolonisation und machte sich mit großen Hoffnungen auf den Weg zu politischer und ökonomischer Eigenständigkeit.

Wie schwierig dieser Weg war und welchen negativen Einfluss darauf die alten Kolonialmächte, eingeschlossen die westdeutsche Bundesrepublik, nahmen, ist in einem Beitrag dargestellt, der 1965 anlässlich des damals bevorstehenden zehnjährigen Unabhängigkeitsjubiläums des Sudan veröffentlicht wurde. Er ließe sich bis auf den heutigen Tag fortschreiben, mit vergleichbaren Akteuren – den einen, die dem Fortschritt den Weg bahnen wollen, und den anderen, die alles daran setzen, das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen, weil sie so ihre eigenen Interessen umso besser durchsetzen können. Der Sudan ist in den bald 70 Jahren seiner Unabhängigkeit wenig vorangekommen; einige der Ursachen dafür sind schon zu seinen Anfängen als freies Land erkennbar.


Sudan im zehnten Jahr der Unabhängigkeit

Der Sudan – mit 2 505 823 Quadratkilometern einer der flächengrößten afrikanischen Staaten und zugleich das östliche Bindeglied zwischen Nord- und Schwarzafrika – ist am 1. Januar 1965 in das zehnte Jahr seines Bestehens als unabhängige Republik getreten. Dass dieser Tag heuer mehr Grund zum Feiern bot, als all die Unabhängigkeitstage der letzten Jahre, liegt daran, dass sich das sudanesische Volk in den letzten Monaten wieder deutlich auf seine ruhmreichen Traditionen des Befreiungskampfes, des Kampfes für Freiheit, Demokratie und Fortschritt besonnen hat. Die Oktoberereignisse des vergangenen Jahres leiteten offensichtlich eine neue Etappe der nationaldemokratischen Revolution im Sudan ein. Sie beweisen, dass das Freiheitsstreben eines Volkes weder durch Terror noch durch ökonomische Einflussnahme von außen aufzuhalten ist.

Die englische Kolonialpeitsche

Vor etwa dreitausend Jahren war das Gebiet des heutigen Sudan von Nubiern besiedelt, die hier einen mächtigen Sklavenhalterstaat gebildet hatten. Später zerfiel dieser Staat in mehrere kleine Sklavenhalterdynastien. Schon damals setzte auch die Zuwanderung arabischer Stämme in das nubische Siedlungsgebiet ein. Im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung verstärkte sich dieser Prozess im Verlauf von kriegerischen Auseinandersetzungen. Schließlich war beinahe der gesamte Sudan mehr oder weniger arabisiert. Lediglich im Süden behielten einheimische Stämme noch eine relative Selbständigkeit.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden die beiden starken Sultanate Sennar und Darfur im Sudan. In dieser Zeit drangen ägyptische Truppen des Eroberers Mohamed Ali in das Gebiet ein und stießen bis zum Südsudan vor. Sie zerschlugen die Sultanate und übten faktisch die Herrschaft im Sudan aus. Der Sklavenhandel nahm ungeheure Ausmaße an.

Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Sklavenhandel tauchte im Jahre 1869 erstmals eine britische Militärexpedition unter Führung von Samuel Baker im Sudan auf. Baker und sein Nachfolger Gordon machten sich bald das gesamte Land untertan. Der zunehmenden Unzufriedenheit des sudanesischen Volkes mit der grausamen Unterdrückung nahm sich Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts der islamische Prediger Mohammed Ahmed an. Er erklärte sich zum Mahdi, zum Gesandten Allahs auf Erden, und rief zum Aufstand auf. Die ihm begeistert folgenden Sudanesen brachten den Kolonialtruppen Niederlage auf Niederlage bei und eroberten schließlich 1885 die Hauptstadt Khartum. Nach Mohammed Ahmeds Tod wurde Kalif Abdullahi sein Nachfolger.

Die feudale Ordnung des Mahdistenstaates hemmte aber bald die bis dahin fortschrittliche Entwicklung des Sudan. Die Hegemonie der feudalen Oberschicht, ihr Terror gegen das Volk, die zunehmende Vetternwirtschaft am Hofe des Kalifen und langjährige kriegerische Auseinandersetzungen, besonders mit Äthiopien, schwächten die Mahdistenherrschaft so stark, dass ein modern ausgerüstetes britisches Expeditionskorps unter Herbert Kitchener 1898 den Kalifen entscheidend schlug. Ein Jahr darauf schloss England mit Ägypten den sogenannten Kondominiumsvertrag über den Sudan, der unter anderem folgendes vorsah: Einsetzung eines Generalgouverneurs, der vom ägyptischen Khediven auf Empfehlung Londons ernannt wird; Übergabe der gesamten legislativen und exekutiven Macht an den Generalgouverneur; Verbot des Sklavenhandels. Dass sich damit England die gesamte Macht über den Sudan gesichert hatte, bewies die Ernennung Kitcheners zum ersten Generalgouverneur des Sudan.

Doch die Sudanesen waren nicht gewillt, sich mit der britischen Herrschaft abzufinden. Bereits 1918 entstand in Omdurman ein »Abiturientenclub« (Sudan School Graduate Club), der den Kampf um die Unabhängigkeit aufnahm. Wirksamer operierte zunächst aber die 1923 gegründete Organisation »Weiße Fahne« (White Flag League), die Streiks und antienglische Kundgebungen organisierte und auch Anhang in der Armee hatte. Als jedoch der Generalgouverneur mit aller Härte gegen diese Aktionen vorging, verlor die kleinbürgerlich geführte Organisation ihre Entschiedenheit, Dagegen gewann nun der »Abiturientenclub« an Bedeutung. Seine zahlreich entstehenden einzelnen Organisationen schlossen sich in den dreißiger Jahren zum Graduates General Congress zusammen und fusionierten 1937 sogar mit dem Gordon Memorial College in Khartum, in dem es bereits 1931 zu einer Revolte gegen die Engländer gekommen war. Der Graduates General Congress hatte sich allerdings fast nur Aufgaben auf dem Gebiet des Bildungs- und Sozialwesens gestellt; vom politischen Kampf hielt er sich fern.

Großbritannien versuchte natürlich mit allen Mitteln, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Zunächst wollte es den letzten Einfluss Ägyptens brechen und kündigte nach der Ermordung des britischen Generalgouverneurs Lee Stack 1924 den Kondominiumsvertrag. Erst 1936 wurde das Abkommen durch eine britisch-ägyptische Vereinbarung wieder in Kraft gesetzt.

Im Innern versuchten die Briten, das alte feudale Stammessystem zu restaurieren. Der Generalgouverneur übergab gewisse Machtbefugnisse an Sultane, Scheichs und Stammeshäuptlinge und korrumpierte sie gleichzeitig durch die Gewährung hoher Gehälter. Doch dieser Schritt in die Vergangenheit stand im Widerspruch zu den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung. Die Herausbildung des Kapitalismus und damit das Entstehen erster Ansätze einer Arbeiterklasse führten schon bald zu einem solchen Aufschwung des Befreiungskampfes, dass die Engländer nach und nach alle ihre Positionen aufgehen mussten.

Der Weg zur Unabhängigkeit

Im zweiten Weltkrieg, als die sudanesische Armee gegen den faschistischen italienischen Eindringling eine heldenhafte Verteidigungsschlacht lieferte und als die Westmächte durch die Kriegsereignisse und den darauf basierenden zunehmenden Druck der Volksmassen gezwungen waren, progressive Erklärungen abzugeben (Atlantikcharta!), nahm auch der Kampf des sudanesischen Volkes um seine Selbstbestimmung zu. Der Graduates General Congress wandte sich 1942 mit einer Denkschrift an die Londoner Regierung, in der er erstmalig die politische Forderung der Unabhängigkeit erhob. Die entschiedene Ablehnung dieser Forderung schwächte zwar vorerst den »Congress«, erleichterte ihm aber gleichzeitig die Erkenntnis, dass ihre Durchsetzung nur mit Hilfe einer Massenbewegung erreicht werden konnte. Die Aktionen verstärkten sich, worauf die Gründung der UN und die Kündigung des Kondominiumsvertrages durch Ägypten 1951 nicht geringen Einfluss hatten.

Am 12. Februar 1953 kamen England und Ägypten in einem Vertrag überein, dem Sudan nach einer dreijährigen Übergangsperiode die Selbständigkeit zu geben. Ein Parlament wurde gewählt, das 1954 trotz blutiger Störmanöver der Feudalherren erstmals zusammentrat und das Land bis Ende 1955 systematisch auf die Unabhängigkeit vorbereitete.

Zu dieser Zeit war die im Vertrag von 1953 festgelegte Sudanisierung des Staatsapparates bereits völlig abgeschlossen. Im August 1955 kündigte das sudanesische Parlament den Kondominiumsvertrag; im November des gleichen Jahres verließen die letzten britischen Truppen das Land. Der Generalgouverneur folgte ihnen. Am 19. Dezember wurde die Konstituierung der unabhängigen und souveränen Republik Sudan vom Parlament verkündet. Am 1. Januar 1956 proklamierte man die Unabhängigkeit; die blau-gelb-grüne Fahne stieg über dem ehemaligen Gouverneurspalast empor.

Innere Krise und Staatsstreich

Doch schon bald nach Erringung der Selbständigkeit kam es zu einer Regierungskrise. Um die Hintergründe zu erläutern, ist ein Blick auf die sudanesischen Parteien notwendig.

Seit 1954 und auch nach dem 1. Januar 1956 stand die Regierung unter Leitung von Sayed Ismail el Azhari, dem Führer der National Unionist Party (NUP). Diese Partei – hervorgegangen aus dem Graduates General Congress –, die zunächst den Anschluss an Ägypten, später aber die Bildung eines selbständigen sudanesischen Staates anstrebte, wurde dabei von der Khatmia-Sekte unter El Mirghani unterstützt. Nach Ausrufung der Unabhängigkeit schied jedoch El Mirghani aus der Regierungspartei aus und bildete mit seinen Anhängern die People’s Democratic Party (PDP). So war die Regierung EI Azhari bereits im Januar 1956 gezwungen, eine Koalition mit der Umma-Partei und der Liberalen Partei einzugehen.

Die Umma-Partei, 1945 vom damaligen Mahdi Abdel Rahman gegründet, war die Interessenvertreterin der Feudalherren und arbeitete oft mit den Engländern zusammen. Die Liberale Partei vertrat den Südsudan und forderte Autonomie von der Khartumer Regierung. Schon im Februar zeigte sich bei einem großen Streik der deutliche Rechtsruck, den die Koalitionsregierung auslöste. Das brutale Vorgehen der Polizei kostete 1200 streikenden Bauern und Landarbeitern das Leben.

Im Sommer 1956 ging die Umma-Partei mit der PDP eine Koalition ein und zwang somit die Regierung EI Azhari zum Rücktritt. Eine neue Regierung mit dem Umma-Führer Abdullah Khalil an der Spitze wurde gebildet. Diese Entwicklung bremste die Ausführung der von der Regierung El Azhari angekündigten Industrialisierungspläne. Die Mitglieder des rechtsgerichteten Kabinetts bemühten sich mehr um die Erringung persönlicher Macht als um die Verbesserung der Lebenslage des sudanesischen Volkes. Parteikämpfe und Korruption verhinderten den notwendigen schnellen ökonomischen Aufschwung; eine immer größer werdende Unzufriedenheit breitete sich aus. Obwohl bei den Wahlen im Februar/März 1958 die Umma-Partei noch die meisten Mandate gewinnen konnte, verschärfte sich in den Monaten darauf die Situation mehr und mehr. Am 21. Oktober kam es zu einem Generalstreik gegen die Regierung. Wenige Tage darauf trat die Antiimperialistische Front, die 1952 gegründet worden war und in der die progressiven Kräfte des Landes, vor allem die Gewerkschaften, die kleine Bourgeoisie und die Intelligenz, jetzt aber auch die NUP vertreten waren, mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, in dem demokratische Freiheiten und weitgehende Unabhängigkeit von den USA gefordert wurden.

Diese explosive Lage machte sich die Armee zunutze. Am 17. November 1958 riß General lbrabim Abboud mit Hilfe des Militärs die gesamte Macht an sich, verbot alle Parteien und Organisationen, alle Kundgebungen und die Zeitungen. Er verhaftete zahlreiche Oppositionelle, vor allem Linkskräfte, und löste das Parlament auf. Damit begann die Periode der Militärdiktatur.

Die Herrschaft General Abbouds war von einer ganzen Reihe Widersprüche gekennzeichnet. Unbestritten ist, dass es ihm in den ersten Jahren seiner Herrschaft gelang, gewisse ökonomische Fortschritte zu erzielen. Mit Hilfe der Westmächte, vor allem der USA, Westdeutschlands und Großbritanniens, die nach einer kurzen Zeit der Beschränkung für ausländische Kapitaleinfuhr dann um so stärker ins Geschäft kamen, aber auch durch Wirtschaftsabmachungen mit sozialistischen Staaten, vor allem der Sowjetunion, entstanden Wasserkraftwerke und Fabriken, und die Finanzlage besserte sich erheblich. Im weiteren wird darauf noch eingegangen werden.

Doch die Massen des Volkes profitierten nur sehr wenig von diesen Fortschritten. Das Analphabetentum blieb weitgehend bestehen. Die unzulängliche soziale und gesundheitliche Betreuung änderte sich kaum. Nach wie vor zogen die herrschenden Kreise im Lande und mit ihnen jetzt die ausländischen Imperialisten ausschließlich die Profite aus dem Sudan. Zu dieser permanenten Armut für das Volk kam die unerträgliche Knebelung der demokratischen Freiheiten. Die »Neue Zürcher Zeitung« schrieb dazu 1961:

»Das gesamte kulturelle und politische Leben untersteht einer scharfen Überwachung durch die Regierung. Mehrere populäre Tageszeitungen . . . verschwanden unter dem Druck der rücksichtslosen Zensur. Eine öffentliche Opposition gegen das Regime ist schlechthin undenkbar. Abboud konnte auch nicht auf die bewährteste Stütze jeder Diktatur, eine gut organisierte Geheimpolizei, verzichten. Die Bespitzelung, nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch in öffentlichen lokalen und privaten Unter­nehmungen, geht so weit, dass eine freie Meinungsäußerung praktisch unterbunden ist. Es ist bezeichnend, dass sich Sudanesen selbst im Ausland Zurückhaltung auferlegen, wenn die Sprache auf General Ahboud und die ihn umgebenden Persönlichkeiten kommt.«

Die Unzufriedenheit im Volk wurde des öfteren von Offizieren ausgenutzt, die Abboud zu stürzen versuchten. Am 4. März 1959 putschten die Generalleutnante Abdur-Rahim Schennan und Mouhieddin Ahmed Abdullah, erzwangen ihre Aufnahme in die Militärregierung und die Entfernung des Umma-Vertrauten Wahab. Zwei Monate später wurden aber beide bei der Vorbereitung weiterer Umsturzversuche ertappt und verhaftet. Im November des gleichen Jahres ging von der Infanterieschule Omdurman erneut ein Putschversuch aus. Nach seiner Niederschlagung ließ Abboud fünf Offiziere hinrichten.

Auch die Volksmassen schritten wiederholt zu Aktionen. 1959 und 1963 streikten die Eisenbahner. Der Arbeiterbewegung gelang es gegen den zähen Widerstand des Regimes, die Legalisierung der Gewerkschaften durchzusetzen. Im Herbst 1963 brach an der Universität Khartum, die dem Erziehungsministerium unterstellt werden sollte, ein Studentenstreik aus, mit dem sich zahlreiche Professoren solidarisierten. Im August 1961 fand in der Hauptstadt eine religiöse Demonstration statt, die die Polizei mit der Ermordung von 31 Demonstranten beantwortete.

So verschärfte sich während der Herrschaft Abbouds laufend der Gegensatz zwischen ihm, der vor allem in der ersten Zeit von der Umma-Partei gestützt wurde, und den Massen, die ihre organisatorische Kraft in der »Antiimperialistischen Front« fanden. Mit Zunahme des Terrors, nun ebenfalls gegen die Mahdisten, gingen mehr und mehr auch die religiös gebundenen Elemente, so die Ansar-Sekte, auf die Seite des Volkes über. Diese Kräfte gewannen derart an Stärke, dass sie 1964 zu entscheidenden Maßnahmen übergehen konnten.

Neokolonialistisches Experimentierfeld Bonns

Der oben dargestellte ökonomische Aufschwung des Sudan kam nicht zufällig. Sobald die Westmächte erkannt hatten, dass es dem Militärregime Abbouds gelungen war, sich zu konsolidieren und dass es sich gegenüber den imperialistischen Mächten loyal verhielt, bemühten sie sich um wirtschaftliche Positionen. Auffällig dabei war die Konzentration auf die Entwicklung der Landwirtschaft, so die Verstärkung des Baumwollanbaus und die Produktion von Zuckerrohr, Reis, Tee, Kaffee, Tabak, Sisal, tropischen Früchten und so weiter. Für einige dieser Produkte waren sogar Verarbeitungsbetriebe im Land geplant. Auf die Entwicklung einer Schwerindustrie jedoch legte man keinen Wert, obwohl man Eisenerz- und Kupferstätten im Westen und Südwesten des Landes entdeckt hatte.

Mit der Erdöl- und Urangewinnung wurde allmählich begonnen. Bei der Stromerzeugung spielt nur Wasserkraft eine größere Rolle. Der Aufbau der sudanesischen Industrie lag fast völlig in Händen ausländischer Monopole. So bauten die USA in Nordkhartum eine Textilfabrik für sieben Millionen sudanesische Pfund (1 sudanesisches Pfund entspricht etwa 12,- MDN). Ein britisches Konsortium erhielt den Auftrag, zwei Baumwollentkörnungsanlagen zu errichten. Englische und italienische Gruppen schürfen nach Erdöl.

Ganz besonders stark sind westdeutsche Firmen vertreten. Bei Guneid bauten die Philipp Holzmann AG, Frankfurt (Main), und die Julius Berger AG, Wiesbaden, die größte Zuckerraffinerie Afrikas. Eine weitere Zuckerfabrik entstand bei Khashm el Girba. Die Friedrich Uhde GmbH, Dortmund, verhandelte über den Bau einer Stickstoffdüngemittelfabrik. Friedr. Krupp lieferte Anfang vorigen Jahres zwei komplette Steinfabrikationsanlagen nach dem Sudan. Zusammen mit der English Electric Co. Ltd. beteiligte sich Siemens am Bau des Sennar-Kraftwerkes. Neben der Weltbank und der International Finance Corporation ist Westdeutschland Hauptfinanzier des Roseires-Staudammes.

Beinahe noch bemerkenswerter aber als diese Tatsachen sind die Methoden der westdeutschen »Entwicklungshilfe« im Sudan, mit denen sie ihre eigennützigen Ziele vollkommen entlarvte. Schon 1959 ließ die Hamburger »Welt« in einem aufschlussreichen Leitartikel die Katze aus dem Sack. Sie stellte zunächst fest:

»Unentgeltliche Staatshilfen von Regierung an Regierung stoßen zu Recht auf Misstrauen. Geschenke korrumpieren, verleiten zur Trägheit … Industrielle Riesenprojekte westlicher Privatfirmen im Auftrage der Regierungen von Entwicklungsländern erfüllen ebenfalls nur zu einem Teil diesen Zweck. Sie schaffen weder direkt Konsumgüter noch helfen sie bei der Bildung eines gesunden einheimischen Mittelstandes – beides Dinge, die diesen Ländern am stärksten fehlen.«

Daher wird den Neokolonialisten der Rat gegeben, kleine, unbedeutende Industrien aufzubauen beziehungsweise sich im Wirtschaftsapparat festzusetzen, um die ökonomische Entwicklung des Landes in ihrem Interesse zu beeinflussen. Lobend führte die »Welt« aus:

»In den sudanesischen Ministerien arbeiten deutsche Landwirte und Ingenieure als Fachleute und Experten, regen die Anlage von Straßen an, überwachen den Bau von Kraftwerken, von Fabriken.«

Dazu gründete die Bundesrepublik im Sudan ein Industrieforschungsinstitut, »dessen Aufgabe darin besteht, festzustellen, mit welchen im Sudan vorhandenen Rohstoffen einheimische Betriebe am günstigsten arbeiten können«. Diese Kontrolle über die Wirtschaft wirkte natürlich auch auf landwirtschaftlichem Gebiet. Das Düsseldorfer »Handelsblatt« berichtete auch über landwirtschaftliche Versuchsstationen unter westdeutscher Leitung.

Doch zurück zum Leitartikel der »Welt«! Über die Methoden der Bonner Wirtschaftsexpansion hieß es da weiter:

»Es (das Erobern ökonomischer Positionen im Sudan – d. Verf.) ist auch nicht von lärmenden Propagandareden, von amtlichen Erklärungen und offiziellen Kommuniqués begleitet, die stets den erst kürzlich von der Kolonialherrschaft befreiten Völkern Skepsis und Misstrauen einjagen. Es geschieht weitgehend auf Grund privater Initiative – allerdings von der deutschen diplomatischen Vertretung im Sudan in geradezu mustergültiger Weise unterstützt.«

Auch für diese Verschwiegenheit ein Beispiel: Am 17. Januar 1963 meldete AFP, dass eine »deutsche Wirtschaftsdelegation unter Führung eines hohen Diplomaten der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amtes« zu Besprechungen in Khartum eingetroffen ist. Nachdem am 6. Februar dann ein Investitionsförderungs- und Kapitalschutzabkommen unterzeichnet worden war, konnte man aus dem dürftigen Kommuniqué nur soviel entnehmen:

»Ziel des Abkommens ist es, dem aus diesem Anlass in Khartum veröffentlichten Kommuniqué zufolge, ein günstiges Klima für private deutsche Investierungen im Sudan zu schaffen, um auf diese Weise zur wirtschaftlichen Entwicklung des Sudans beizutragen, sei es durch persönliche Aktivität oder als Teilhaber privater sudanesischer Betriebe.“

Interessant ist, welch großer Wert dabei auf das Wörtchen »privat« gelegt wird. Hierin liegt im Grund das Ziel der westdeutschen »Hilfe« verborgen, das die »Welt« frohlockend so formulierte: »Und politisch ist das Land für den Westen gewonnen.«

Dass Bonn dabei auch noch sein Extraschäfchen Hallstein-Doktrin ins Trockene bringen wollte, zeigte schließlich der Satz: »Deutschland, das ist für den Sudanesen heute die Bundesrepublik.« So also sieht das Gesicht der westdeutschen »Entwicklungshilfe« aus! Und wenn es noch eines Beweises für ihre »Uneigennützigkeit« bedarf – hier ist er: Aus der einstmals aktiven Handelsbilanz des Sudan mit der Bundesrepublik (1959 betrug der Export 6,1 Millionen sudanesische Pfund, der Import nur 3,6 Millionen sudanesische Pfund) ist eine passive geworden (1961 Export: 6,4 Millionen sudanesische Pfund, Import: 8,2 Millionen sudanesische Pfund). Bonn verdient also auch am »Entwicklungshilfe«-Muster Sudan nicht schlecht.

Der Sturz Abbouds

Im Jahre 1964 verschärfte sich die Lage im Sudan unaufhörlich. Jetzt rächte sich die enge Zusammenarbeit mit den ausländischen Monopolen, die auf Rückzahlung ihrer Kredite zu drängen begannen. Die Militärregierung beschloss, die Gelder für das Gesundheits- und Sozialwesen, die Bildung und ähnliches weiter zu kürzen. Eine neue Einkommensteuer wurde eingeführt; durch erhöhte indirekte Steuern stiegen die Preise. Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit zu.

»Die Demonstrationen und Unruhen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum gelten als Ausdruck einer allgemeinen Stimmungskrise über wachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten . . . Bei dem südsudanesischen Negerproletariat in Omdurman, den Hafenarbeitern in Nordkhartum und den Eisenbahnarbeitern in der nordsudanesischen Stadt Atbara hat sich in den letzten Jahren erheblicher sozialpolitischer Zündstoff aufgespeicbert«, schrieb DPA im vergangenen Oktober.

Als zweiter Faktor der Unzufriedenheit muss die schon erwähnte rigorose Beschneidung der demokratischen Rechte angesehen werden. Erst im August 1964 war es wieder zu einer Verhaftungswelle gekommen, die sich vor allem gegen Kommunisten richtete. General Abboud machte damit seinem Ausspruch »Der Kommunismus ist mein Feind Nummer 1!« alle Ehre. Die Unzufriedenheit unter den Massen aber wuchs und trieb zum Ausbruch.

Die Unruhen gingen von der Universität Khartum aus. Das zeigt einmal mehr die Rolle der fortschrittlichen Intelligenz in der Befreiungsbewegung des Sudan. Die etwa zehntausend Intellektuellen, vorwiegend Rechtsanwälte, Lehrer, Journalisten, aber auch Ingenieure, Techniker und Ärzte, spielen in ihrer Mehrheit bis in die Gegenwart eine positive Rolle im Unabhängigkeitskampf. Daher war es kein Wunder, dass Studentendemonstrationen gegen die Regierungspolitik in der Südsudanfrage der Anlass für die große Volksbewegung waren, die mit ihren Forderungen nach demokratischen Rechten und größerer Unabhängigkeit vom imperialistischen Westen die seit langem aufgespeicherte Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte.

Abboud, der ja schon einige Erfahrungen mit Umsturzversuchen hatte, griff zu einer alten Taktik. Er machte zunächst Zugeständnisse, um die bedrohliche Stimmung abzufangen. Er löste den Obersten Militärrat und die Regierung auf. Der zweite Mann im Staate, Generalmajor Hasan Beshir, wurde von der Position des Oberbefehlshabers der Armee entfernt. Am 30. Oktober bildete der Vertrauensmann der Intellektuellen, Sir el Khatim el Khalifa, eine Zivilregierung. Abboud blieb noch Staatsoberhaupt; auch den Oberbefehl der Armee hielt er weiter in seiner Hand. Als der Präsident jedoch seine Befugnisse überschritt und sieben Offiziere ohne Zustimmung des neuen Ministerrats verhaften ließ, kam es zu erneuten Protesten, die den General schließlich ganz zum Rücktritt zwangen.

Damit war die Militärherrschaft im Sudan beseitigt, und die Zivilregierung konnte ihre progressiven Aufgaben in Angriff nehmen. Sie hob alle Ausnahmebestimmungen der Diktatur auf und begann mit der Restaurierung der Demokratie. Die Parteien – unter ihnen die »Vereinigte Nationale Front«, eine Sammlungsbewegung der demokratischen Kräfte, entsandten Minister ins Kabinett. Auch die Gewerkschaften sind auf einer Schlüsselposition in der Regierung vertreten. In diesem Monat sollen Wahlen stattfinden, durch die ein arbeitsfähiges Parlament entstehen wird. Doch unabhängig davon ist allen fortschrittlichen Elementen im Sudan klar, dass der Kampf gegen den Imperialismus nicht erlahmen darf.

Diese Notwendigkeit zeigte sich schon in den ersten Wochen nach dem 21. Oktober, so zum Beispiel an den Provokationen vom 10. November in Khartum sowie am künstlichen Hochspielen der Südsudanfrage. Aber das Volk gab schon damals eine Probe seiner Entschlossenheit. Auf gewaltigen Kundgebungen erklärten sich die Massen für den Kurs der neuen Regierung und versprachen ihre Unterstützung. Die fortschrittlichen Offiziere forderten in einer Erklärung die Säuberung der Armee und die Bestrafung aller reaktionären Offiziere. Sie sagten einen entschlossenen Widerstand gegen die konterrevolutionären Elemente unter den Mi­litärs zu.

Dass die Intrigen gegen die Regierung EI Khalifa vom Ausland organisiert wurden, ging aus verschiedenen Zeitungsberichten in der sudanesischen Hauptstadt hervor. So schrieb die Zeitung »EI Dschedid«, es sei »das Ziel der Imperialisten – Großbritanniens, Amerikas und (West-)Deutschlands – die sudanesische Nationalregierung zu stürzen«. Bei ihren Machenschaften benutzten die Imperialisten »Missionare, gewisse Reaktionäre und ihre Publikationen«. Besonders Bonn sieht seine Felle im Sudan davonschwimmen und versucht mit allen Mitteln, diese Entwicklung aufzuhalten. So ist auch das Angebot des westdeutschen Botschafters zu verstehen, die unter Abboud begonnene Ausbildung sudanesischer Polizeioffiziere in Westdeutschland ohne Unterbrechung fortzusetzen.

Die Vorbereitung der Wahlen offenbarte den erbitterten Kampf, der zwischen den einzelnen politischen Gruppierungen im Gange ist. Sogar die vom Mahdi geführte Umma-Partei musste zu sozialistischen Losungen greifen. Dazu stellte selbst der Kairoer DPA-Korrespondent fest:

»Da die ländliche Gesellschaftsstruktur des Sudan immer stärker von Industrieenklaven durchlöchert und von kommunistischer Agitation erschüttert wird, hat auch der Mahdi den Begriff Sozialismus in sein politisches Vokabular aufgenommen, aber das Wort kam ihm nicht sehr glaubwürdig von den Lippen …«

Die Kommunistische Partei als entscheidendste Gegenkraft tritt für die »Festigung der nationalen Unabhängigkeit durch Übergabe der politischen Macht an die national-demokratischen Kräfte und durch die Säuberung des Staatsapparates von den Helfershelfern des Imperialismus« ein. Wie ihr Generalsekretär Abdel Halek Mahgoub in einem Interview feststellte, hat sich die KP in den vergangenen Monaten seit der Revolution zu einer Massenpartei entwickelt. Die »Neue Zürcher Zeitung« nannte die Gründe für diesen Aufschwung:

»Die Kommunisten haben diese Stellungen in den Berufsgemeinschaften zu erringen vermocht, weil sie auch in gefährlichen Zeiten mit zielbewusster Energie tätig waren und über hochqualifizierte Organisatoren verfügten. Als Ende Oktober unerwartet die Revolution gegen das Militärregime ausbrach, war die Kommunistische Partei die einzige politische Gruppe im Lande, die ein klares Aktionsprogramm besaß.«

Auch in der Vorbereitung der Wahlen war die Kommunistische Partei stets auf der Höhe ihrer Aufgaben. Ein ZK-Plenum Mitte Januar legte die notwendigen Maßnahmen für die Wahlkampagne fest. Im Anschluss daran hielt die »Vereinigte Nationale Front« ihre erste Konferenz ab. Sie sprach sich für die ökonomische Unabhängigkeit des Landes auf der Grundlage »einer genossenschaftlichen Entwicklung nach sozialistischen Prinzipien« aus. Durch die Entschlossenheit der fortschrittlichen Kräfte konnten alle Störmanöver und Erpressungsversuche der Reaktion zurückgewiesen werden.

Außenpolitisch hält sich der Sudan konsequent an die Politik der Blockfreiheit, sieht diese jedoch nicht in einem engagementslosen Neutralismus. Bei einer Ansprache am 9. Jahrestag der Ausrufung der Unabhängigkeit erklärte El Khalifa, dass sich seine Regierung neben der Lösung der innenpolitischen Probleme auch die Ausarbeitung einer gegen Imperialismus und Kriegspakte gerichteten Außenpolitik zum Ziel gestellt habe. Die Solidaritätserklärung gegenüber der kongolesischen Befreiungsbewegung und die Verbesserung des lange Zeit ungesunden Verhältnisses zur VAR sind Taten, die diese Worte bestätigen.

Zeitbombe Südsudan wird entschärft

Die Grenze zwischen Nord- und Schwarzafrika geht mitten durch den Sudan. Die sechs nördlichen Provinzen sind überwiegend von Arabern bewohnt, während in den Südprovinzen Bahr el Ghazal, Oberer Nil und Äquatorialprovinz in erster Linie afrikanische Stämme leben, so zum Beispiel die Schilluk, Dinka, Nuer, Acholi, Latuka und Lau. Diese Situation wird noch dadurch kompliziert, dass die Afrikaner unter dem Einfluss europäischer Missionare den christlichen Glauben angenommen haben, während im Norden der vom Mahdi vertretene strenge Islam herrscht. Weiterhin haben die Engländer den Süden in sträflicher Weise vernachlässigt. Während ihrer Herrschaft haben sie dieses Gebiet in tiefster Rückständigkeit gehalten und außerdem keine klare Entscheidung über seinen Status getroffen. Dazu schrieben die »Basler Nachrichten«: »Die Briten hingegen hüllten sich in Schweigen, weil sich das schlechte Gewissen bei ihnen regte. London versprach einst den Südprovinzen hoch und heilig, sie dürften selber entscheiden, ob sie sich dem unabhängigen Sudan anschließen wollen oder nicht. Dieses Versprechen ist gebrochen worden.« Mit Vorbedacht haben die Engländer dieses ungelöste Problem dem jungen Staat hinterlassen, um ihn nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Dies entspricht völlig der Taktik des englischen Imperialismus, die er zum Beispiel auch mit der Kaschmir-Frage praktizierte.

Die ersten Regierungen des Sudan, vor allem die proimperialistische Militärdiktatur Abbouds, konnten das Problem nicht lösen. Sie hatten kaum Machtmittel gegen den Einfluss der christlichen Missionare, die in ihrer Mehrheit die Geschäfte des Imperialismus besorgten und die Afrikaner gegen den Norden mit dem Ziel der Lostrennung aufhetzten. Als bei den schweren Unruhen im Sommer 1963 143 Missionare ausgewiesen werden sollten, drohte zum Beispiel Bonn mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen und Einstellung der »Wirtschaftshilfe«. Auch als im vergangenen Frühjahr tatsächlich etwa 300 Missionare ausgewiesen wurden, reagierte der Westen darauf mit Drohungen und Verleumdungen. Schon im Sommer musste Abboud neue Missionare ins Land lassen. Mit Hilfe der Separatisten im Talar sollte der Topf der sudanesischen Unruhe am Kochen gehalten werden. Abboud antwortete darauf mit unbrauchbaren Methoden. Er ging mit Waffengewalt gegen die Afrikaner vor und versuchte, die separatistische Bewegung in Blut zu ersticken. Es ist klar, dass das die Lage im Land verschärfte und zum Sturz des Generals maßgeblich beitrug.

Aus diesen Erfahrungen der Vergangenheit zog die Regierung EI Khalifa die Schlussfolgerung, dass das Problem nur durch eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zu lösen ist. Innenminister Mboro trat unter anderem eine Reise in die Südprovinzen an, um mit den dortigen Persönlichkeiten die Einstellung der Feindseligkeiten und Schritte des Zusammengehens zu besprechen. Der Befehlshaber der Regierungstruppen im Süden wurde abgelöst.

Diese und andere Maßnahmen zur Beilegung des Konflikts zwischen dem Norden und dem Süden riefen die Imperialisten auf den Plan. Sie erkannten die Gefahr, die damit ihrer bisherigen Konzeption drohte, und starteten eine Provokation. Als Mboro von seiner Reise zurückkehrte, forderten etwa 5000 aufgeputschte Südsudanesen auf dem Khartumer Flugplatz die Lostrennung ihres Gebietes. Die Polizei musste eingreifen, und es kam zu einem Handgemenge, bei dem viele Menschen getötet wurden. Die Regierung machte ausländische Elemente für das Blutvergießen verantwortlich, und selbst DPA musste zugeben, dass »Südsudanesen von christlichen Missionaren aufgehetzt und mit Geldbeträgen unterstützt werden«.

Aber die Regierung ist entschlossen, ihren Weg weiterzugehen. Sie hat die einige tausend Südsudanesen, die wegen der Massaker der Abboud-Truppen das Land verließen, aufgefordert, in ihre Heimat zurückzukehren und eine Konferenz zwischen Vertretern des Südens und der Regierung angekündigt. Das konsequente Weiterschreiten auf diesem Wege wird dazu beitragen, die von den Imperialisten zurückgelassene Zeitbombe Südsudan in naher Zukunft zu entschärfen.

Erstarkende Arbeiterbewegung

Seit Ende des zweiten Weltkrieges hat sich im Sudan eine politische Kraft herausgebildet, die ständig an Bedeutung gewinnt – die Arbeiterbewegung. Das Zentrum dieser Bewegung bildeten seit jeher die Eisenbahner, die bei ihren Kämpfen ein unaufhörlich wachsendes Klassenbewußtsein an den Tag legten. Schon 1948 setzten sie die Annahme einer »Gesetzgebung über Arbeit und Arbeiter« durch, die ihnen relativ weitgehende Rechte gewährte. 1950 wurde die Sudan Workers‘ Trade Unions Federation (SWTUF) gegründet, in der alle einzelnen Gewerkschaften mit ihren 150 000 Mitgliedern aufgingen. Einen großen Anteil hatte die Gewerkschaftsbewegung an der Erringung der Unabhängigkeit.

Der Militärputsch 1958 führte auch zum Verbot der Gewerkschaften und zur Einkerkerung ihrer Führer. Doch die Arbeiter erzwangen durch ihren Kampf immer wieder Zugeständnisse von Abboud. Schon 1960 musste der General ein neues Arbeitsgesetz erlassen, das die Schaffung von Gewerkschaftsorganisationen gestattete und sogar das Streikrecht im Prinzip anerkannte, wenn es auch durch eine Reihe von Zusatzbestimmungen faktisch unmöglich gemacht wurde. An den darauf folgenden Gewerkschaftswahlen nahmen 96 (!) Prozent der Werktätigen teil. Obwohl ein Zusammenschluss der Gewerkschaften nicht gestattet war, fand 1963 eine große Konferenz statt, die eine Reihe entscheidender Forderungen stellte, unter anderem die Aufhebung des Verbots der Eisenbahnergewerkschaft, das nach dem Streik von 1963 ausgesprochen worden war. Auch 1964 sollte wieder solch ein Kongress stattfinden, doch wurde er von Abbouds Arbeitsminister Osman in letzter Minute verboten.

Als die Regierung EI Khalifa an die Macht gekommen war, versicherten die Gewerkschaften ihr sofort ihre vorbehaltlose Unterstützung. Der Generalsekretär der sudanesischen Gewerkschaften, Shafiah Ahmed el Sheikh, wurde als Staatsministier in die Regierung aufgenommen und vertritt dort den Premierminister. Die Gewerkschaften wollen allen konterrevolutionären Versuchen entgegentreten und fordern die Entfernung der Reaktionäre aus dem Staatsapparat. Sie befinden sich damit in Übereinstimmung mit den Forderungen der Kommunistischen Partei. Sie verlangt, die Rechtskräfte zu isolieren und aus allen Massenorganisationen eine national-demokratische Union zu schaffen. Die Grundlage dieser Union müsse das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern sein. Ein erster Schritt auf diesem Wege war die gemeinsame Erklärung des sudanesischen Gewerkschaftsverbandes und des Verbandes der Kleinpächter vom Januar, die den Sozialismus forderte und jegliche Einflussnahme ausländischer Imperialisten strikt ablehnte.

Die Wahlen und die darauf folgenden Maßnahmen werden zeigen, inwieweit diese demokratischen, im Interesse des Volkes liegenden Ziele verwirklicht werden können. Die starke Position der Arbeiterorganisation gibt zweifellos zu Hoffnungen Anlass.

(Veröffentlicht in: Deutsche Außenpolitik, Heft 3/1965, nachgedruckt in: Peter Richter. Reisen ins Fremde. Von Spitzbergen bis Kap Hoorn, vom Malecón zum Baikalsee. Norderstedt 2020)

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