Die glücklichen Opfer der Kostenlos-Kultur

(pri) Schier unübersehbar sind inzwischen die Klagen von Zeitungsverlegern, Redakteuren, Autoren aller Art, sie würden durch geistige Schnäppchenjäger, die via Internet eine Kostenlos-Kultur etabliert hätten, in den Ruin getrieben. Dabei sind die Umsätze der Verlagsbranche noch immer beträchtlich, lagen 2011 bei achteinhalb Milliarden Euro, das sind nur 0,1 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Und auch wenn die Auflagen der Zeitungen rückläufig sind, verlieren sie weitaus mehr Geld im Anzeigen- und Beilagengeschäft, das um 2,2 Prozent zurückging, als beim Vertrieb. Denn gerade durch das verteufelte Internet wuchsen die Reichweiten der Zeitungen, die täglich laut Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) von 48 Millionen Menschen gelesen werden. Dessen Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff schwärmte letzten Sommer förmlich: »Was die Verbreitung von Zeitungsinhalten angeht, so ist das Internet ein Segen für die Verlage

 

Und doch: Das Internet wird zur Ursache des vermeintlichen Übels erklärt – nicht weil man wesentlich weniger verdient., sondern weil diese beträchtlichen Leser zahlen sich nach Meinung der Branche nicht genügend im Gewinn niederschlagen. Diesen Markt, den nicht die Verlage, sondern den das Netz erschlossen hat, will man maximal abschöpfen. Deshalb wird seit Jahren an Bezahlmodellen für die online-Zeitungen gebastelt – stets verbunden mit Schimpfkanonaden gegen die Kostenlos-Kultur, die freilich erst von den Zeitungen eingeführt worden ist, weil sie eben die großen Reichweiten des Netzes für sich nutzen wollten.

 

Dass der Zeitungsleser, der Nutzer also, Gewinn aus solch einem Konzept zog, ging und geht den Produzenten gegen den Strich. Dabei waren und sind es gerade Produzenten, die Kostenlos-Kultur, Gratis-Kultur zu einem ihrer lukrativsten Geschäftsmodelle entwickelt haben. Längst ist der Konsument zum Bestandteil ihres Produktionsprozesses, vor allem ihres Marketings geworden – und zwar regelmäßig kostenlos. Und viele solcher Gratisarbeiter tun es ganz freiwillig, fühlen sich noch geehrt, reißen sich geradezu darum – ja, bezahlen inzwischen sogar dafür, dass sie zum Beispiel für eine namhafte Firma Werbung betreiben dürfen.,

 

Man erinnere sich an die Zeiten, als es Einkaufsnetze gab, die naturgemäß der Werbung nicht dienlich sein konnten, und später Einkaufsbeutel, kariert oder einfarbig, noch ohne jedes Logo und Firmenzeichen. Spätestens mit dem Aufkommen der Plastetüten wurde auch deren Bedrucken erschwinglich, und bald sah man die menschlichen Werbeträger auf den Straßen. Anfangs genierte sich noch der eine oder andere und bestand auf neutraler Verpackung, doch lange währte das nicht. Ließ sich doch mit dem Firmenaufdruck sichtbar machen, dass man sich Produkte einer Qualitätsmarke leisten konnte.Die Kostenlos-Kultur war geboren, denn kostenlos warben die Konsumenten für die Produzenten, die die neuen Möglichkeiten blitzschnell erkannten und konsequent ausbauten.

 

Heute ist das Land von »Marken« nahezu aller Produktgruppen überschwemmt, deren Qualität sich kaum unterscheidet und in der überwiegenden Zahl auch nicht besser ist als jene von Billigprodukten, die sich ihrerseits kräftig bemühen, im Marken-Geschäft mitzumischen. Man trägt das Firmenschild nicht mehr versteckt unter dem Kragen, sondern deutlich sichtbar auf dem Rücken oder an der Brust, lässt es sich als metallisches Abzeichen aufnähen oder ankleben. Auch Aldi und andere Discounter entwickelten längst »Marken«, die von ihren Anhängern spazieren getragen werden – umsonst und überglücklich, sie vorzeigen zu dürfen.

 

Umsonst und überglücklich stellen sich auch immer mehr Menschen in den Dienst unseres ebenfalls über chronischen Geldmangel klagenden Fernsehens. Wer am 1. Weihnachtsfeiertag die »Helene-Fischer-Show« im Ersten sieht, sollte einen Augenblick auch des zu Tausenden zählenden Publikums gedenken, das bereitwillig und fast bis zum Schluss begeistert die fünfstündige Aufzeichnung über sich ergeben ließ – und das nicht nur kostenlos, sondern sogar gegen einen beträchtlichen Obolus. Zwar hob der eigens für die gute Laune der Claqueure bestellte Animator Christian hervor, dass auch die Zuschauer unverzichtbar zur Show gehörten; dass sie für diese übergestülpte Rolle jedoch bis zu 50 Euro hinlegen mussten, unterschlug er.

 

Doch das Publikum nahm unverdrossen hin, dass es vor der Show eine ausführliche Einweisung erhielt, wie es sich in den nächsten Stunden zu verhalten habe, dass ihm dann ein gestückeltes Nummernprogramm serviert wurde, von mehr oder minder langen Pausen unterbrochen, in denen jener Christian mal tuntig, mal in Bohlen-Manier zusammen mit dem Showstar Helene den zahlenden »Gästen« zum Schaden auch noch den Spott lieferte. C&H agierten nicht nur »laienhaft«, wie ein Blogger feststellte, sondern herablassend – und dennoch hielt sich der Unmut in Grenzen. Selbst dann noch, als Christian alle zum Singen von »O Tannenbaum« anfeuerte, und Helene daraus den Gag machte, nun habe auch sie ihre Fischer-Chöre.

 

Diese Kostenlos-Unkultur, die das Fernsehen perfekt vorführte, hat inzwischen auch bei der Politik Begehrlichkeiten geweckt. Sie nennt das freilich weihevoll Ehrenamt, aber sieht man sich die immer häufiger im Internet und in den Medien auftauchenden diesbezüglichen Anzeigen an, dann wird klar, dass es um Einsparung bei allerlei staatlichen Diensten geht. Da werden ehrenamtliche Museumswärter, Klassenfahrt-Begleiter, Krankenfahrer und andere mehr gesucht, wird an das soziale Gewissen der Bürger appelliert, das den verantwortlichen staatlichen Stellen längst abgegangen ist. Kostenlos-Kultur zum Stopfen von Etatlöchern, deren Ursache in einer Umverteilung von unten nach oben liegt, die Regierende von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb zum Programm gemacht haben.

 

So entpuppt sich auch die mediale Klage über die Kostenlos-Kultur letztlich als Heuchelei. Es waren schließlich Zeitungsverlage, die Anzeigenblätter auf den Markt warfen – kostenlos und mit einem echten journalistischen Anteil von allenfalls zehn Prozent; sie wollten damit ein besonders großes Stück aus dem Werbekuchen schneiden. Viele Leser gaben und geben sich mit diesen Pseudo-Zeitungen – ebenso wie mit dem kostenlosen Privatfernsehen – zufrieden und greifen nicht mehr nach den kostenpflichtigen Blättern. Jetzt, wo die Anzeigenerlöse einbrechen, weil die Werbung ins Internet wandert, ist die Klage groß, zumal auch die Bezahlzeitungen wegen ihrer zunehmenden inhaltlichen Konformität mit dem politischen »Mainstream« oft nicht mehr ihr Geld wert sind. Wer umfassen informiert sein und unterschiedliche Sichtweisen kennenlernen will, wird im Netz in der Regel viel eher fündig als medialen System dieses Landes.

One Reply to “Die glücklichen Opfer der Kostenlos-Kultur”

  1. In einer Markt-Gesellschaft kann eine Kostenlos-Kultur sich auf Dauer nicht etablieren. Das widerspräche allen „Marktgesetzen“, wie die auch heißen mögen. Die ab Januar 2013 erhobene „Medien-Abgabe“ steht als aktueller Beweis für diesen Trend. Steuerfreie Bereiche werden immer mehr eingeengt und der Steuerflucht wird mit „illegaler Steuerfahndung“ ( z.B. Ankauf von Steuer-CD) begegnet. Einem Gesellschaftsmodell der „totalen Privatisierung“ bleiben nur noch die Steuereinnahmen der „inmobilen“ Gesellschaftsschichten. Also bitte auch hier keinen Optimismus aufkommen lassen. Zuviel Wissen kann Schaden durch Veränderung anrichten, wie die gegenwärtigen weltweiten Unruhen zeigen. An neuen „fiskalen“ Hand- und Fußfesseln wird intensiv gearbeitet, denn „der Staat ist der Ordnungsfaktor“ ( Zitat Angela Merkel).

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