Hans-Peter Friedrich – der Brandstifter als Biedermann

(pri)Lange wusste Hans-Peter Friedrich mit dem Amt des Bundesinnenministers wenig anzufangen. Im beginnenden Wahlkampf zum bayerischen Landtag und zum Bundestag jedoch fügt er sich zunehmend in die traditionell rechtskonservative Linie der Union ein und verfährt nach den alten rechtslastigen Feindbildern der CSU – unter Verwendung von Weichzeichnern.

Mit seiner ersten Äußerung als Bundesinnenminister am 3. März 2011 schien Hans-Peter Friedrich in die Fußstapfen der Hardliner der Union in diesem Amt zu treten. »Der Islam gehört nicht zu Deutschland«, sagte er apodiktisch und setzte sich damit in Gegensatz zum damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der das Gegenteil erklärt hatte. Seine CSU-Klientel dürfte zufrieden gewesen sein – ungeachtet oder gerade wegen des kritischen Echos, das der promovierte Jurist damit auslöste, gefällt sich doch die CSU in der Rolle des Wadenbeißers auch gegen Berlin. Aber Friedrich setzte zur allgemeinen Überraschung nicht sofort nach. Er trat nicht mit Sturmhaube auf, wie SPD-Mann Otto Schily, und betete auch nicht täglich das Mantra vom Einsatz der Bundeswehr im Innern, wie Wolfgang Schäuble von der CDU.

Moderat, zivil und ohne Klamauk

Friedrich gab sich moderat, zivil, »ohne Klamauk«, wie er selbst sagte. Freund wie Feind wussten lange nicht, was sie von ihm halten sollten. In der Koalition galt er als schwache Besetzung, was sich verstärkte, als er im Skandal um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) das Versagen der Sicherheitsbehörden einräumen musste und dabei in der Regel eine schlechte, weil hilflose Figur abgab. Sie ist freilich die Konsequenz seiner Taktik, die kritische Debatte um Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Polizei auszusitzen und zugleich diese Behörden so umzubauen, dass sich an den bestehenden Strukturen mit ihrer stark ideologisch geprägten Ausrichtung im Kern nichts ändert.

 

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zielt von sich aus am liebsten nach links.Foto: dpa/Bernd Settnik

Der Innenminister kann diese Linie nur unzureichend verschleiern, und zunehmend deutlicher wird in seiner Amtsführung auch die christsoziale Handschrift. Erkennbar war diese schon bei seinen Auftritten in der bayerischen Provinz. Vor seinesgleichen redet er Klartext. Da beschwört er den internationalen Terrorismus als »größte Bedrohung«, will »Gegnern des freiheitlichen Staates aus dem linken Lager« das Handwerk legen und empfiehlt die CSU als Vorkämpferin gegen Rechtsextremismus, denn sie sei die »Antwort auf ein gottloses Regime« und schütze die Würde des Menschen.

 

Der CSU gehört der 55-Jährige seit seinem 17. Lebensjahr an; ein Jahr zuvor hatte er beim Aufbau der Schüler-Union in seiner oberfränkischen Heimat geholfen. Seine Parteikarriere begann nach dem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie nach ersten Berufsjahren im Bundeswirtschaftsministerium 1991 als Mitarbeiter der Bundestagsfraktion, in der er schnell aufstieg – vom Referenten des Landesgruppenchefs Michael Glos 1993 bis 2009 zum Landesgruppenchef selbst. 2011 wurde Friedrich CSU-Bezirkschef in Oberfranken; sein Vorgänger war Karl-Theodor zu Guttenberg, den er über seinen Rücktritt hinaus als Opfer von »maßloser Kritik« und Hass bezeichnete. Dessen Sturz verdankte er indes das Innenministerium, weil Thomas de Maizière von dort ins früher Guttenbergsche Verteidigungsressort wechselte.

 

Hier gab sich der unauffällige Staatsbeamte nach der Islam-Schelte als Biedermann, der jedoch seinen Überzeugungen treu blieb. So funktionierte er die von Wolfgang Schäuble initiierten Islamkonferenzen zu Veranstaltungen um, die weniger der Integration der Muslime als dem Aufspüren potenzieller Terroristen dienen sollen. Er trat für die Vorratsdatenspeicherung ein, konnte sich aber gegen das Bundesverfassungsgericht und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bisher nicht durchsetzen. Dafür erreichte er gegen den Widerstand letzterer die Verlängerung der nach dem 11. September 2001 erlassenen, verschärften Sicherheitsgesetze und profilierte sich als Verfechter der Abschiebepraxis gegen Asylbewerber. Er forderte sogar die Aufhebung der Visafreiheit für die EU-Kandidaten Serbien und Mazedonien, um den verfolgten Sinti und Roma den Weg in ein sicheres Asyl zu verwehren.

 

Bezüglich des Rechtsextremismus warnt Friedrich wieder mehr als vor dessen Ideologie und Gewaltbereitschaft vor einer vorgeblichen Beeinträchtigung der Arbeit der Sicherheitsorgane. Das Verlangen der NSU-Untersuchungsausschüsse nach rückhaltloser Aufklärung schwächt in seinen Augen den Sicherheitsapparat. Er schickte seinen Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche vor, sich bei seiner Vernehmung im Ausschuss über »beißende Kritik, Hohn und Spott über einen ganzen Berufszweig von Polizisten und Verfassungsschützern« zu beklagen. Der Verfassungsschutz, bei dem Fritsche in den Jahren der Mordserie Vizepräsident war, erfülle eine »einzigartige Funktion für alle Bürger dieses Landes«.

Rechts von der CSU darf es keine Partei geben

Friedrich liegt allein daran, die Umtriebe der Rechten zu kennen, zu kontrollieren, um eingreifen zu können, wenn sie so aus dem Ruder zu laufen drohen, dass sie den Ruf Deutschlands im Ausland gefährden. Unterhalb dieser Schwelle sieht er keinen Grund, entschlossen durchzugreifen, weil der Rechtsextremismus von der Union als ideologisch integrierbar verstanden wird. Es ist ein geflügeltes Wort der CSU, dass es rechts von ihr keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, was einschließt, das rechtsextreme Gedankengut grundsätzlich in der eigenen Programmatik zu verankern. Ausländerfeindlichkeit, Law-and-order, Umgang mit von der konservativen »Norm« abweichenden Lebensentwürfen, Kampf gegen linke Ideen finden sich bei Rechtsextremen wie Christsozialen; bei letzteren freilich in der Regel sprachlich gemildert.

 

Deshalb auch sieht Friedrich in der Bundesrepublik »eins der sichersten Länder der Welt« – ungeachtet der zehn Morde, die Rechtsterroristen unbehelligt ausführen konnten, ungeachtet von insgesamt etwa 200 Toten durch rechtsterroristische Anschläge seit 1990, ungeachtet von 110 flüchtigen Rechtsextremisten, von denen mindestens 18 als politisch gefährlich eingestuft werden, ungeachtet der NPD, die aggressiv Rassismus und Gewaltanwendung propagiert. Für ihn und seine Partei bedeutet dies keine Gefahr für die Ordnung in der Bundesrepublik – eine beunruhigende Parallele zu Konservativen in der Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus weniger ein Risiko für den Kapitalismus sahen als vielmehr eine effiziente Herrschaftsform zur Durchsetzung der eigenen Ziele.

 

Vor allem daraus ergibt sich Friedrichs kaum verhohlene Ablehnung eines NPD-Verbots. CSU-Chef Horst Seehofer widerspricht ihm hierbei, weil er sich sorgt, dass die NPD seiner Partei bei der Landtagswahl im Herbst Stimmen wegnehmen könnte, welche die CSU für die absolute Mehrheit benötigt. Friedrich braucht als Bundesminister auf diese taktischen Erwägungen keine Rücksicht zu nehmen. Er zweifelte erst die Stichhaltigkeit der für ein Verbot sprechenden Belege an. Dann plötzlich habe es nie eine »bessere Materialsammlung« als die von den Ländern gegeben, aber die NPD sei »eine am Boden liegende Partei«, die durch das Verbotsverfahren wiederbelebt werde.

Die LINKE als politisches Feindbild

Strenger urteilt Friedrich über die LINKE, die »als Partei in Teilen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung arbeitet«, indem »sich Teile der LINKEN nicht abgrenzen von linksextremistischer Gewalt …, dass ihre Programmatik darauf gerichtet ist, einen marxistischen Staat zu errichten …, auch dass sie sich nicht distanzieren vom Unrechtsstaat der DDR, auch dass sie das kubanische Unrechtssystem offensichtlich ganz toll finden«. Dieses »Sündenregister« kann Friedrich mühelos erweitern, und sollten dazu Aktenbestandteile durch Informationen der Länder zu LINKE-Politikern angeliefert werden, dann, so Friedrich im Deutschlandfunk, »schmeißt man die nicht weg, sondern dann werden die zu den Akten genommen«. Einige Akten über Rechtsextremisten wurden hingegen während der Ermittlungen zum NSU säckeweise in dem Innenministerium unterstehenden Dienststellen zerschreddert.

 

Kein Wunder, dass das mit viel Brimborium Ende 2011 geschaffene »Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus« Monate später faktisch wieder aufgelöst wurde und sich nun auch um Linksextremismus, einen imaginären Linksterrorismus, Ausländerextremismus bzw. -terrorismus und Spionage kümmern soll. Friedrich rüstet den Sicherheitsapparat gegen solche »Bedrohungen« auf. Der Sohn eines Verwaltungsangestellten gibt sich als Biedermann, der dafür sorgt, dass der Staat über das nötige Repressionspotenzial verfügt. Doch der Biedermann wird zum Brandstifter, wenn sein ideologischer Standort dazu führt, dass jene, die Hass und Gewalt praktizieren, nicht in die Schranken gewiesen werden.

 Gedruckt in: Neues Deutschland vom 19. Dezember 2012