CDU und CSU – in »Westalgie« gefangen

(pri) Nun haben sich auch CDU und CSU auf den Weg in Richtung Abgrund gemacht, dem die SPD inzwischen bereits sehr nahe gekommen ist. Doch während bei den Sozialdemokraten die Ursache darin liegt, dass sie sich bald ihrer revolutionären Vergangenheit schämten und sich sukzessive all dessen entledigten, was sie einst zum entschlossenen Sachwalter all jener machte, die unter dem stürmisch voranschreitenden Manchester-Kapitalismus litten und nun, von der SPD immer wieder allein gelassen, mit seiner neoliberalen Neuauflage zu kämpfen haben, entschied sich die Union für eine gegenteilige Strategie. Sie will zurück zu den Ursprüngen – zur alten Adenauer-CDU und zur Strauß-CSU. Sie sehnt sich nach dieser Vergangenheit, ist gefangen in etwas, das man »Westalgie« nennen könnte.

Herausgefordert und zugleich fasziniert von den Wahlerfolgen der rechtsextremen AfD offenbaren CDU und CSU ihre Unfähigkeit, für die heutigen neuen Probleme auch heutige, neue Antworten zu finden. Stattdessen machen sie die Schotten dicht und arbeiten gar an der Revision der wenigen und zum Teil auch nur marginalen Veränderungen der Programmatik ihrer Parteien, die ihnen Angela Merkel in ihrer Amtszeit als CDU-Vorsitzende aufzwang – wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob aus Überzeugung in die Notwendigkeit solcher Schritte oder einfach aus Machtkalkül.

Zu einer tiefgreifenden Erneuerung der Unionsparteien ist es dabei nie gekommen – auch deshalb, weil sie immer Partner fand, die ihre konservative, wirtschaftsliberale Politik im Kern unterstützten. Unter Helmut Kohl war es die FDP, die aus innerer Überzeugung den Mehrheitsbeschaffer gab, unter Angela Merkel übernahm die zuvor von Gerhard Schröder, Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier bereits in eine solche Richtung getrimmte SPD diesen Part und spielt ihn bis heute.

Und trotzdem war der durch einige kleine Zugeständnisse an die SPD etwas gezügelte Neoliberalismus vielen in der Union schon zu viel, weshalb sie die Legende von der »Sozialdemokratisierung von CDU und CSU« in die Welt setzten, wo es sich doch in Wirklichkeit um die Anbiederung der SPD-Führungselite an die Unionsparteien und deren Wünsche handelt, durch all ihre gescheiterten Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten – Müntefering, Steinmeier, Steinbrück, Schulz, Gabriel, Nahles – betrieben und nun von Olaf Scholz fortgesetzt. Wie gut die Menschen das verstehen, zeigen die sich im freien Fall befindlichen Wahlergebnisse der SPD auch dort, wo sie vernünftige Politik betreibt; die Partei hat einfach jedes Vertrauen verspielt.

Die Union jedoch hat den Blick längst auf den nächsten Mehrheitsbeschaffer gerichtet – die Grünen, die sich – ungeachtet aller nach außen vorgeführten Coolness – über ihren künftigen Kurs zutiefst uneinig sind. Denn CDU und CSU haben die Erfahrung gemacht, dass maximale Härte und Unnachgiebigkeit, verbunden mit einer durch die Mehrzahl der ihnen nahe stehenden Medien geführten Kampagne über staatspolitische Verantwortung, Kompromiss und Regierungsfähigkeit, am Ende stets zum Erfolg führt. Und sie sehen daher keinen Grund, selbst Zugeständnisse zu machen – wie gegenwärtig ihre Ablehnung einer Grundrente, die wirklich diesen Namen verdient, zeigt. Ihr Mantra ist die Reduzierung der Ausgaben für soziale Zwecke; die Frage jedoch, was der ständig wachsende Bedarf an Sozialmaßnahmen mit ihrer primär auf das Wohlergehen der Wirtschaft ausgerichteten Politik zu tun hat, stellen sie sich nicht. Im Gegenteil, ihre Hoffnungen richten sie auf einen, der par excellence für Wirtschaftsnähe steht. Auch die Sehnsucht nach Friedrich Merz ist Ausdruck der grassierenden Westalgie in der Union.

Und ebenso die geradezu manische Ablehnung der Linkspartei, ihre Stigmatisierung als linksextremistisch, um sie in die Nähe der AfD zu rücken. Diese antikommunistische Attitüde gehört zur DNA der Unionsparteien; schon Konrad Adenauer stellte die entstehende Partei 1946 vor die Alternative »Christus oder Marx«. Dann folgten KPD-Verbot und Rote-Socken-Kampagnen; für den CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verhalten sich »Union und Linkspartei wie Feuer und Wasser«.

Heute schafft diese Grundorientierung erhebliche Probleme für die christlichen Parteien, denn mehr und mehr wird die Linke als eine normale Partei, sogar eine konstruktive Kraft angesehen, und mit Blick auf Thüringen plädieren in Umfragen 39 Prozent der Deutschen und 33 Prozent der CDU-Anhänger sogar für eine Koalition zwischen ihr und der CDU. Dies jedoch stelle die Daseinsberechtigung der Union in Frage, für ihren Fraktionsvize im Bundestag, Carsten Linnemann, wäre es das »Ende der Volkspartei CDU«.

Gerade im Westen, wo jahrzehntelange antikommunistische Propaganda ein Zerrbild des Sozialismus schuf, blockiert solches Denken demokratische Lösungen bei komplizierten Problemen. Die Union ist immer weniger in der Lage, auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu antworten; sie verschanzt sich in der Wagenburg der Vergangenheit. Dass nun das Vertrauen der Wähler auch zu ihr dramatisch schwindet, ist die logische Folge solchen Versagens.

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