In eigener Sache: Reisen ins Fremde

(pri) Werbung gibt es in diesem Blog nicht, aber wie jede Regel hat auch diese ihre Ausnahme. Dann nämlich, wenn es in eigener Sache um die Anzeige eines Buches geht. »Reisen ins Fremde« heißt es, und es versammelt 53 Reportagen aus aller Welt, geschrieben zwischen 1963 und 2019. Es geht – so verspricht es der Untertitel – vom nördlichen Spitzbergen bis Kap Hoorn nahe dem Südpol, vom Malecón in Havanna bis zum sibirischen Baikalsee. Und dazwischen ist viel Land und Wasser, diese oder jene Stippvisite wert …

Es sind nicht so sehr die berühmten Orte, die Metropolen und Urlaubs-Highlights, die besucht werden, sondern interessante Flecken abseits der Touristenströme. Da sinReisen ins Fremded die Falkland-Inseln, dem geschrumpften britischen Empire einen Krieg wert, um weltweite Präsenz zu demonstrieren. Oder die Blaskets am Westrand Irlands, verlassene Eilande, allenfalls noch ein Fluchtort für Aussteiger. Da sind die schwindenden Siedlungsräume der kanadischen Ureinwohner in den Coastal Mountains, die dem Wintersportgeschäft geopfert werden – und auf dem Südteil des Kontinents das physische Aussterben der Mapuche, nachdem europäische Eroberer ihnen schon lange zuvor ihre Identität genommen hatten. Und da ist der »Peer-Gynt-Weg«, der sich nördlich von der Olympiastadt Lillehammer durchs Hochgebirge Espedalen schlängelt und Stück für Stück sein Geheimnis an die Moderne verliert. Oder der steinige Hügel Har Homa in Jerusalem, vor mehr als 20 Jahren eins der ersten Symbole des Zugriffs jüdischer Siedler auf palästinensisches Land, schon damals betrieben von Benjamin Netanjahu.

Und wenn es doch einmal in eine Metropole geht, dann interessieren dort – wie in Paris – dessen Studenten und ihr Einfluss auf das Leben der Seine-Stadt. Oder in Peking der heutige Rang traditioneller chinesischer Medizin in Kliniken und Apotheken. Im vietnamesischen Saigon wird beobachtet, wie westliche Lebensweise in Friedenszeiten siegt, nachdem sie den Krieg verloren hatte. Im Moskau der 1960er-Jahre wiederum ist spannend, wie es gelingt, auf dem Weg zum Kommunismus das System der Kommunalkas – also Wohnungen, in denen mehrere Familien jeweils nur ein Zimmer und eine gemeinsame Küche hatten – zu überwinden. 

Diese und andere Reportagen aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Kasachstan mit seiner großen deutschstämmigen Minderheit oder vom gewaltigen Wasserkraftwerk Nurek in Tadshikistan, das heute nur noch ein Schatten seiner selbst ist, aber auch aus dem Jugoslawien der 1960er-Jahre, mögen jetzt allenfalls von historischem Wert sein; sie zeugen aber von den Träumen früherer Generationen und stellen uns die Frage, was davon schon damals Illusion war, was aber vielleicht aus heutiger Sicht auch Verlust ist. Denn den damaligen Widersprüchen folgten in den sowjetischen Nachfolgestaaten neue, wie im russischen Kaliningrad und im lettischen Riga beobachtet werden konnte.

Die Texte des Buches stammen nicht nur aus mehr als 50 Jahren, sondern auch aus zwei politischen Systemen mit deutlich unterschiedlichem journalistischen Selbstverständnis. In der DDR waren Auslandsreisen für Journalisten eher die Ausnahme, und deshalb entstanden viele Berichte am heimischen Schreibtisch, »mit dem Finger auf der Landkarte«. Das musste kein Mangel sei, wenn gründlich recherchiert wurde – zum Beispiel zur Herausbildung der Staaten Zambia, Zimbabwe und Malawi im Süden Afrikas und der widersprüchlichen Entwicklung des bereits unabhängigen Sudan während des antikolonialen Umbruchs des schwarzen Kontinents in den 60er-Jahren.

Wenn doch gereist wurde, dann in der Regel in die sozialistischen Bruderländer. Das waren »Besuche bei Freunden« – und dem sollten auch die Reiseberichte entsprechen – nicht nur aus der Sicht der hiesigen Redaktionen, sondern auch in den Erwartungen der Besuchten. Wie schwer es oft war, dies mit den eigenen Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen, thematisiert vor allem der Text »Thälmann in Alma-Ata« exemplarisch; er hatte freilich in der DDR keine Chance, gedruckt zu werden.

Bei den außerordentlich seltenen Reisen ins »nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet« galt es, sich vom Abglanz des sterbenden Kapitalismus nicht täuschen zu lassen, sondern hinter die Kulissen zu schauen, um dort das »Haar in der Suppe« zu finden. Dies war und ist so selten nicht, wie wir heute wissen, und daher sind selbst die frühen Reportagen aus dem Innenleben des Kapitalismus – etwa am Beispiel Frankreichs der 70er-Jahre – nicht falsch, aber doch etwas einseitig.

Ab 1990 entfiel die Nötigung zu solcher Pejoration – und siehe da, zumeist trübte sich der kritische Blick nicht ein. Ob der Einfluss des Systemwechsels auf die polnische Wirtschaft oder die maltesische Eigenart, aus den verschiedenartigsten Einwirkungen fremder Kräfte für sich das Beste herauszuholen, ob die drohende Verödung provenzalischer Dörfer oder das Ringen um die zutreffende Lesart des Koran in der Türkei – es gab zumindest den Versuch, das Fremde in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu erfassen.

Und doch finden wir auch heute Berichte, denen es an Objektivität mangelt, die – im schlimmsten Fall – dem Tendenzschutz des Medieneigentümers folgen oder sich – kaum weniger bedrohlich – an den Anzeigenerlösen orientieren und deshalb Negatives, Kritisches aussparen. Schließlich spielt das Weltbild des Reporters eine große Rolle; er bringt in seinen Text auch das ein, was er selber denkt, Das muss kein Mangel sei, wenn er denn dazu steht und nicht mit dem Anspruch unbezweifelbarer Unabhängigkeit daherkommt.

Zu solchen nun schon beinahe medientheoretischen Überlegungen, die allerdings nur vorsichtig angerissen werden, liefert der Reportagenband in unterhaltsamer Weise Anschauungsmaterial, aus dem vielleicht sogar die eine oder andere Ausbildungsstätte für Journalisten schöpfen könnte. Gerade in diesen Tagen, da viele Medien beim Publikum um Beachtung und Ansehen ringen müssen, kann das Buch »Reisen ins Fremde« zum Nachdenken über diese Art von Weltbeschreibung anregen und vielleicht da und dort neue Erkenntnisse befördern.

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