Hanau – und der Schoß, aus dem dies kroch

(pri) Der vor einem Jahr begangene Mord an neun jungen Hanauern, die anders aussahen und anders hießen als die Mehrheit im Bundesland Hessen, hat eine lange Vorgeschichte. Wo sie beginnt, ist schwer auszumachen, aber ansonsten gibt es Indizien genug, die beweisen: Es war kein Zufall, was in Hanau geschah, sondern folgte einer bewusst herbeigeführten Gesetzmäßigkeit, die mit rassistischen Kampagnen begann und nicht erst im Februar 2020 in blutigen Taten endete.

Der CDU-Spitzenkandidat bei der hessischen Landtagswahl 1999, Roland Koch, machte in scheinbar aussichtsloser Position eine von Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber initiierte Unterschriftenkampagne gegen die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung geplante Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft zu seinem Haupt-Wahlkampfthema und schürte hemmungslos latente Ängste vor allem Fremden. Tausende machten sich auf zu den Informationsständen, »wo man gegen Ausländer unterschreiben« konnte – und wählten dann mit knapper Mehrheit die rot-grüne Regierung in Wiesbaden ab. Seitdem haben die extrem Konservativen in der Tradition eines Alfred Dregger und Manfred Kanther das Sagen und bestimmen wesentlich dass politische Klima in Hessen. Auch bei folgenden Wahlkämpfen  zog Koch immer wieder die rassistische Karte.

Einer der treuesten Gefährten Roland Kochs war von Anfang an Volker Bouffier, der als Innenminister einen harten Rechtskurs einschlug und inzwischen zum Ministerpräsidenten aufstieg; was Polizei und Geheimdienste heute in seinem Bundesland sind, ist wesentlich sein Werk. Stets galt für ihn und damit auch für seine Sicherheitsdienste, dass der Feind links steht und alles Fremde verdächtig ist, von der Rechten jedoch keine besondere Gefahr droht. Auf diesem Boden aber konnte sich der Rechtsextremismus ungestört entwickeln – unbehelligt und da und dort vielleicht sogar begünstigt auch von dden Schutzorganen.

Die Folgen sind bekannt. 2006 wurde in Kassel Halit Yozgat das neunte und letzte Opfer des NSU – und das unter den Augen eines anwesenden Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes, dessen Rolle allerdings nicht aufgeklärt werden konnte – nicht zuletzt deshalb, weil die Landesregierung die einschlägigen Akten für 120 Jahre sperren ließ. Es folgten immer neue rechtsextreme Gewalttaten – bis hin zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 und der Bluttat von Hanau 2020. Bei der Aufklärung all dieser Taten spielten Polizei und Geheimdienste zumeist eine unrühmliche Rolle; zudem häuften sich Hinweise darauf, dass an Bürger mit Migrationshintergrund und linke Politiker Drohschreiben gesandt wurden, nachdem ihre Daten von Polizeicomputern abgefragt worden waren.

Natürlich gibt es ähnliche Vorfälle nicht nur in Hessen, sondern in zahlreichen Bundesländern. Und dennoch ragt Hessen – was Häufigkeit und Intensität solcher Taten betrifft – heraus. Es verdeutlicht damit in besonderem Maße den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Politik und dem Aufkommen von Rechtsextremismus. Wie als Beweis für die These Bertolt Brechts, der am Ende seines Anti-Hitler-Stückes über den »aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui« mahnte: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

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