Medien als Machtinstrument

(pri) Mit riesiger Empörung verwahrt sich die hiesige Medienwelt stets dagegen, als »Lügenpresse« bezeichnet zu werden, doch in der Praxis tut sie vor allem seit Beginn des Ukrainekrieges alles, diesem gewiss in seiner Pauschalität übertriebenen Vorwurf immer neue Nahrung zu geben. Jüngst mit der Falschberichterstattung über die Vorgänge um das Atomkraftwerk Saporischschja.

Dieses hatten bereits Anfang März russische Truppen besetzt und seither für dessen ungestörten Weiterbetrieb überwiegend durch ukrainisches Personal gesorgt. Fast fünf Monate lange gab es keinerlei beunruhigende Informationen aus dem größten AKW Europas – ungeachtet seiner unmittelbaren Nähe zur Front. Dann aber begannen plötzlich militärische Angriffe auf das Objekt, mit denen sich die ukrainische Armee brüstete, was zunächst auch in der hiesigen Medienwelt befriedigt vermeldet wurde. Nicht aber, dass sich Russland über den AKW-Beschuss außerordentlich besorgt zeigte und schließlich gar den UN-Sicherheitsrat anrief. Stattdessen übernahmen fast alle Medien hierzulande plötzlich die neue ukrainische Behauptung, Russland bombardiere das AKW und damit seine eigenen Leute. Sie berichteten auch nicht darüber, dass Russland der von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verlangten Inspektion des AKW zustimmte, nicht aber die Ukraine – mit den G7-Staaten einschließlich Deutschland im Schlepptau. Die hiesige Öffentlichkeit wurde also systematisch belogen, indem ihr wesentliche Fakten vorenthalten bzw. sinnentstellend uminterpretiert wurden. Nur widerwillig und stückweise hat man das inzwischen korrigiert.

Diese Methode ist nicht neu; sie wurde vor allem vom abgewählten US-Präsidenten Donald Trump mit seinem Phantasiekonstrukt der »alternativen Fakten« hoffähig gemacht. Man behauptet zur eindeutigen und nachprüfbaren Tatsache das Gegenteil und stellt somit die Lüge mit der Wahrheit auf eine Stufe, verbrämt mit der in der Regel und auch in diesem Falle unzutreffenden Anmerkung, was stimme, sei nicht unabhängig überprüfbar. Dazu bedarf es hier nur der – von der angreifenden Seite verweigerten – IAEA-Inspektion. Rechtsextreme Agitatoren bedienen sich seit eh dieser Masche; es ist bezeichnend, dass sie mehr und mehr von Medien übernommen wird, die sich – wie zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Anstalten oder die so genannten Qualitätsmedien – als seriös bezeichnen.

Dabei sind sie in ihrer Mehrzahl nie unabhängig und objektiv gewesen, sondern haben stets eine Rolle beim Machterhalt in ihren Ländern gespielt. Das konnten sie in den Jahren des Kalten Krieges mit gewissem Erfolg verschleiern, weil sich ihr Widerpart, das sozialistische System, offen zur Funktion der Medien als Agitator, Propagandist und Organisator des kommunistischen Aufbaus bekannte und sie entsprechend nutzte. Die damit einhergehende Einseitigkeit und Verödung der Massenkommunikationsmittel in den östlichen Ländern verschaffte westlichen Medien eine Attraktivität allein dadurch, dass sie oft das vermeldeten, was im Osten verschwiegen wurde. Gleichzeitig gab es aber schon damals auch im Westen von Interessen geleitete Pressekampagnen und Manipulierungsversuche, wie die Auseinandersetzungen um den Springer-Konzern 1968 zeigten.

Mit dem Verschwinden des Sozialismus endete allmählich die Ära der Inszenierung westlicher Medien als »freie Stimmen der freien Welt«. Die Gesetze kapitalistischer Machtsicherung setzten sich auch auf dem Feld der Meinungsbildung immer mehr durch, vorangetrieben vor allem durch die Besitzverhältnisse im Mediensektor und durch den wachsenden Zugriff des Staates auf das, was wie berichtet wird. Zwar versuchen viele Medienmacher, den lieb gewordenen Mythos aufrechtzuerhalten, aber vor allem in Krisenzeiten gelingt das immer weniger. Hier gilt dann, was der Medienforscher Uwe Krüger bereits 2016 fast entschuldigend feststellte, dass nämlich »Akteure aus Verantwortungsbewusstsein bestimmte verbreitete, aber unerwünschte (da als gefährlich angesehene) Meinungen oder Einstellungen – Ausländerfeindlichkeit, Islamophobie, Antiamerikanismus, Euroskepsis – aus der öffentlichen Debatte fernzuhalten versuchen«.

Gegenwärtig erleben wir das jedoch in geradezu extremer Weise, wobei wohl weniger Verantwortungsbewusstsein als vielmehr ideologischer Eifer die Feder führt. Und es bedarf auch keiner »Agitationskommission« des SED-Zentralkomitees, wie zum Beispiel in der DDR, die den Journalisten mitunter konkrete Anweisungen bis hin zu Überschriften und Platzierung im Blatt oder der Sendung gab. Vietmehr hat man oft den Eindruck, diese Agitationskommission sitze bei einigen Journalisten im Hinterkopf und sorge dafür, dass der Mainstream der Berichterstattung das Publikum tatsächlich überwältigt. Sie sind durch Herkunft (zwei Drittel stammen aus Beamten- oder Angestelltenhaushalten), Ausbildung (private Journalistenschulen), Zugang zu exklusiven Informationsquellen (interne politische Gesprächskreise), korrumpierende Bezahlung (aktuelles Beispiel RBB) und lukrative Aufstiegsmöglichkeiten (vom Journalisten zum Pressesprecher) oft so vorgeprägt, dass es keiner Anweisung von oben bedarf, um die herrschende Politik als Journalist zu vertreten.

Folglich haben sie auch keinerlei diesbezügliches Problembewusstsein, wie die Reaktion einiger einschlägiger Journalisten auf eine Satiresendung der »Anstalt« bewies, in der diese Entwicklung faktenstark thematisiert wurde. Im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen löschte das ZDF die Sendung aus seiner Mediathek und nahm sie auch dann nicht wieder auf, als der BGH abschließend die Anwürfe gegen die Satiriker zurückwies, denn ungeachtet einiger Ungenauigkeiten: »Die Angaben zu den Interessenkonflikten wegen unstreitiger Mitgliedschaften in Lobbyorganisationen stimmen grundsätzlich.« Die ARD wollte dem nicht nachstehen. Ihr medienkritisches Magazin »ZAPP« wird statt früher wöchentlich nur noch monatlich ausgestrahlt »mit ausgewählten Netzbeiträgen«. Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Problemen der hiesigen Medien findet man nun kaum noch.

Wollte man boshaft sein, könnte man angesichts dieser Sachlage auf die Frage nach der Moral durchaus zu der Meinung kommen, dass sich jene DDR-Journalisten, die ihre Arbeit widerwillig unter den geschilderten Zwängen taten, hinter ihren westlichen Kollegen, die sich freiwillig und sogar eifrig in den Mainstream einordnen, nicht zu verstecken brauchen.

Denn leider ist nicht wenigen der heutigen Mainstream-Journalisten kein Trick zu schmutzig, wie vor allem der Whataboutism-Vorwurf zeigt. Denn letztlich geht es dabei um nichts anderes als die moderne Form einer Umformulierung von Geschichte, wie sie bereits George Orwell in seinem düsteren Sciencefiction-Roman »1984« beschrieb: »Die Vergangenheit wurde getilgt, die Tilgung wurde vergessen, die Lüge wurde Wahrheit.« Bei ihm tauchen auch schon die »alternativen Fakten« auf als »Doppeldenk«, nämlich die »Fähigkeit, zwei einander widersprechende Überzeugungen zu hegen und beide gelten zu lassen«. Damit verbunden ist eine Neudeutung zentraler Begriffe. Zum Beispiel »Krieg ist Frieden«, in der heutigen Interpretation: Frieden durch mehr Waffen, also mehr Krieg. Oder »Unwissenheit ist Stärke«, was jetzt offensichtlich bedeutet: Je weniger Du nach Ursachen und Voraussetzungen einer Krise fragst, desto williger folgst Du den Forderungen der Regierenden.

War es während des Kalten Krieges bequem, sich bei der Rezeption von »1984« allein auf die sozialistischen Länder zu beziehen, so zeigt sich nach deren Verschwinden, dass es schon Orwell nicht nur darum ging, sondern ausdrücklich auch um eine Warnung an die eigene Zunft. Als Kolonialpolizist, Soldat, Kriegsberichterstatter und lange beargwöhnter Romanautor waren ihm viele der beschriebenen Methoden der Meinungsmanipulation nicht fremd; er zeigte unerbittlich auf, wohin sie in der Konsequenz führen könnten. Heute finden wir sie – in Abstufungen – in vielen Staaten der Welt, wenn es darum geht, das Denken und Handeln im gewünschten Sinne zu beeinflussen – nicht nur in China, Nordkorea und Russland, sondern auch in zahlreichen westlichen Ländern, wie einschlägige Skandale immer wieder ans Licht bringen.

Und auch hierzulande haben viele Menschen das Gefühl, dass die Meinungen der Herrschenden mit allen Mitteln auch zu den herrschenden Meinungen gemacht werden sollen. Wer davon abweicht, weil er zum Beispiel gegen die Versündigung am Klima oder soziale Ungerechtigkeit vorgeht, wird vorsorglich in die rechte Ecke gestellt. Ausgerechnet der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, warnte gegenüber »nd«, es gehe den Protestierern nicht nur um ein Thema, »sondern um die Delegitimierung staatlichen Handelns, um den Kampf gegen ›das System‹. Und damit ist klar ein Gefahrenpotenzial verbunden.« Diffamiert, gar kriminalisiert wird damit faktisch alles, was sich gegen das kapitalistische System richtet.

Der Verfassungsschutz hat dazu extra einen neuen »Phänomenbereich« erfunden, die »verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates«. Damit ist – zumindest nach der Interpretation des bayerischen Verfassungsschutzamtes offenbar alles gemeint, was einen Protest gegen staatliches Handeln erst wirksam macht: »Dabei handelt es sich um Bestrebungen, also um politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Handlungen, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit des Staates erheblich zu beeinträchtigen. Daneben fallen unter den Phänomenbereich auch Bestrebungen, die durch ein aktives, glaubhaftes und nachdrückliches Vorgehen auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen, ohne dabei die Wesensmerkmale extremistischer Bestrebungen eines anderen Phänomenbereichs, wie beispielsweise dem Rechtsextremismus, aufzuweisen. Insbesondere solche extremistische Bestrebungen, die sich durch eine agitatorische Verächtlichmachung des Staates sowie dessen Repräsentanten gegen das Demokratieprinzip richten, die durch ihre Demokratiefeindlichkeit angetrieben zu extremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten aufrufen oder sich unter Verkennung der Artikel 20 Abs. 4 Grundgesetz zugrunde liegenden Voraussetzungen auf ein vermeintliches Widerstandsrecht berufen …«

Es geht also nicht darum, tatsächlich strafbewehrtes Handeln zu bekämpfen, sondern eine bestehende politische Konstellation zu zementieren, radikale Opposition zahnlos zu machen und bestimmte störende, gleichwohl aber verfassungsgemäße, da nicht extremistische Protestformen auszuschließen.Es geht wieder einmal um Staatssicherheit. Da ist es kein Zufall, wenn manche, die schon in der DDR gegen solche Herrschaftsmethoden aufstanden, sich an die damaligen Zeiten erinnert fühlen – angefangen bei der Wortwahl, die in den Texten damals wie heute viele Analogien aufweist, über die Philosophie autoritären Denkens, die sich dahinter verbirgt, bis hin zu den Maßnahmen, die den Machterhalt garantieren sollen.

Mit dem weitgehenden Schweigen der Medien über diese Entwicklung schließt sich der Kreis. Oder erinnert sich jemand an einen alarmierenden Kommentar dagegen, eine Talkshow über diesen Gegenstand oder eine Reportage, die das Schicksal eines Betroffenen thematisiert?

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