Der unaufhaltsame Abstieg der Union

(pri) Wie es scheint, läutet Friedrich Merz das Ende von CDU und CSU ein. Die rückwärtsgewandte Argumentation des Bundeskanzlers führt ihn und seine Partei an die Seite der AfD – und wer weiß, wer dann die besseren Karten hat.

Franz Josef Strauß hatte doch recht. Während der amtierende Bundeskanzler mit Brandmauer- und Ausgrenzungsgeschwätz einer Entwicklung hinterherzurennen versucht, die er – wie schon seine Vorgängerinnen und Vorgänger – überhaupt nicht mehr im Griff hat, sagte der damalige bayrische Ministerpräsident bereits am 9. August 1987 das voraus, was schon lange der Fall ist:

»Man soll bei der CDU sich ja nicht dem Glauben hingeben, man könnte auf die Stammwähler keine Rücksicht nehmen, man bräuchte auf die nationalkonservativen Wähler, die nationalliberalen Wähler keine Rücksicht mehr zu nehmen, man könnte auf die Vertriebenen verzichten, man könnte auf die Wähler im ländlichen Umfeld wie den Bauern verzichten, um dann neue Schichten sich zu erschließen. Das ist eine Fehlrechnung. Und ich habe erklärt, dass … es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Wir denken hier natürlich nicht an rechtsradikale Narren, mit denen wir gar nichts zu tun haben wollen, aber an normale, demokratische konservative Kräfte, die bei uns ihre politische Heimat behalten müssen. Sollte die neue Politik der CDU diese Wähler abstoßen; nur fünf Prozent einer solchen Partei würden genügen, die ganze Spekulation über den Haufen werfen. Dann langt es für CDU und CSU zusammen nicht mehr.«

Genau das ist eingetreten, auch wenn Strauß die Dramatik der Entwicklung nicht sehen wollte oder konnte und noch auf eine Besserung hoffte. Denn die Kunstblume, die vor allem Konrad Adenauer einst schuf, um die »nationalkonservativen, die nationalliberalen Wähler« nach dem Krieg auf seine Seite zu ziehen, hat ihre Schuldigkeit getan. Längst haben sich CDU und CSU ungeachtet ihres einst christlichen Namens von den Kirchen entfremdet, stehen mit ihnen teilweise sogar im Konflikt und müssen ihr eigenes unchristliches Tun sogar verteidigen, wobei oft von der Gnade Gottes wenig übrig bleibt. Die Union ist selbst zu einer rechtskonservativen Partei geworden, die mit der gesellschaftlichen Mitte wenig zu tun hat, sondern ihren Weg rechtsaußen sucht. Gerade die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler und die seither von seiner Partei und ihren Strömungen betriebene Politik zeigen das in aller Deutlichkeit.

Dabei hat die CDU – vor allem unter Angela Merkel – lange versucht, einen Weg zwischen der Rechtsorientierung ihrer Politik und den gesellschaftlichen Anforderungen zu finden; ihr aber fehlten letztlich die Kraft, vor allem aber auch die innerparteilichen Bataillone, die nötig gewesen wären, die CDU zu einer zeitgemäßen Größe zu machen, die sich gegen den rechtslastigen Überbau der Partei durchzusetzen vermag. All diese Kräfte sehen in Merz die Hoffnung, ihre »alte Größe« zurückzugewinnen und das Land wieder einmal zu einer Führungsmacht in Europa zu machen, die sogar so weit gehen kann, sich dafür in einem neuen Krieg zu verschleißen.

Dabei setzt Merz auffällig in seinen Äußerungen das Jahr 1949 als Ausgangspunkt für seine Strategie, nicht 1945 und erst recht nicht 1947, als das in großen Teilen antikapitalistische Ahlener Programm, in dem es heißt: »Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.« Diese Etappe der Union hatte Adenauer rechtzeitig abgeräumt, was die fortschrittliche Entwicklung der Bundesrepublik lange behinderte, sie in die studentischen Auseinandersetzungen der 60er-Jahre und den Regierungswechsel 1969 führte. Erst 1982 kehrte Helmut Kohl ins Kanzleramt zurück, wobei als ein wesentliches Element die SPD-Ostpolitik erhalten blieb, was ihm am Ende sogar dazu verhalf, die Krise zu Ende der 80er-Jahre zu überstehen und sich als »Kanzler der Einheit« feiern zu lassen. Aber nach zwei weiteren Wahlen war auch Kohl letztlich wieder am Ende; 1998 übernahmen SPD und die Grünen die Amtsgeschäfte.

Doch wieder kam der Union nun ein Rettungsanker zur Hilfe, denn Gerhard Schröder vollzog den rabiaten Kurswechsel zur »Agenda 2010«, mit der er den Niedergang der SPD einleitete, der zur Zeit bei etwa 15 Prozent der Stammwählerschaft verbleibt – und das derzeit auch nur, weil viele Sozialdemokraten darin die einzige – letzte – Hoffnung sehen, den antisozialen Forderungen der Union entgegenzutreten. Seit der »Agenda 2010« hat die Partei diese Hürde kaum überspringen können – und wenn doch (wie etwa 2021), hat der folgende Kanzler darauf nicht mit einer Fortsetzung einer sozialverträglichen Politik geantwortet, sondern mit dem Verrat an im Wahlkampf gemachte Versprechungen. Diese Abkehr führte am Ende zum Sturz der Ampelkoalition und zum knappen Sieg der CDU und CSU – so knapp, dass Merz den Wahlverlierer SPD brauchte, um mit ihm eine Regierung zu bilden.

Weitgehend mit dem von seiner Partei in bislang ungeahnter Ablehnung gewählten neuen Parteivorsitzenden Lars Klingbeil versucht Friedrich Merz inzwischen ungeachtet der großen Kritik an seiner Regentschaft seine alten, abgestaubten Ideen aus vergangenen Zeiten glaubhaft zu machen. Inwieweit er sich dabei auf diverse Klüngel in der Union stützen kann oder selbst eigene Vorstellungen zum Tragen bringt, mag dahin gestellt sein. Doch in der Praxis der Regierungsarbeit folgen darauf immer wieder Differenzen und Abweichungen vom ursprünglich gemeinsam vereinbarten Koalitionsvertrag, der zu Streitereien führt, die die Arbeit behindern.

Erstmals wendeten sich Unionsparlamentarier gegen die Wahl von SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf, und sie schafften tatsächlich ihre Diskreditierung und ihren Rücktritt von der Wahl. Dann erklärten sich zahlreiche Unions-Parlamentarier nicht mit der Regelung der Wiedereinführung der Wehrpflicht einverstanden; sie dauere zu lange, denn schließlich stehe »der Russe« ja schon vor der Tür. Auch die junge Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten wollte nicht nachstehen; der Vorschlag der SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas verlängere die derzeitigen Rentenpläne und sei damit untragbar. Diese und gewiss bald folgende Abweichungen vom Koalitionsvertrag sind weiter offen. Sie verdeutlichen die Absicht einzelner Gruppen der Union, ihre Hoffnungen auf eine grundlegende Änderung der Politik durchsetzen zu können.

Für Merz stellt dies zwar erwünschte Forderungen dar, aber sie kommen zum falschen Zeitpunkt. Denn dieses Streben behindert die Regierungsarbeit, was deren schlechte Beurteilung beim Wahlvolk erklärt. Nur 49 Prozent sind mit der Arbeit des Kanzlers, nur 52 Prozent mit der der Regierung einverstanden. Vor allem aber ist damit die AfD, wohl von Strauß damals als »rechtsradikale Narren« prophetisch vorausgesagt, nicht in Bedrängnis zu bringen – im Gegenteil. Sie liegt inzwischen bei einem gleichen Wert wie die Union – also fünfmal höher, als das einst der CSU-Vorsitzende gemutmaßt hatte. Die von Merz angekündigte »Halbierung« dieser Partei ist gründlich misslungen.

So bleibt dem Kanzler nur der Rückgriff aufs Vokabular des Gegners. Schon lange vor dem Wahltag übte er sich darin ein, wenn er von den »kleinen Paschas« sprach oder von dem Asylanten, die sich die Zähne neu machen lassen, während die Deutschen ins Leere guckten. Das setzte sich fort – bis hin zu den »Stadtbild«-Erklärungen, bei denen er seine eigene Politik, die nicht anerkannten Asylbewerber von jeder Arbeit auszuschließen, nun ihnen vorwirft. Sie arbeiteten ja nicht, also müssten sie abgeschoben werden.

Dahinter verbirgt sich die Unfähigkeit des bundesdeutschen Staates, Migration entsprechend ursprünglicher Regeln wie Menschenrechte und Gleichheit, Wahrung unveräußerlicher Rechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Gleichbehandlung vor dem Gesetz zu gewährleisten. Und wenn sich die SPD dagegen vorsichtig äußert, antwortet ihm Merz’ Fraktionschef Jens Spahn drohend, die SPD wisse doch, was es bedeute, wenn man in der Koalition Opposition betreibe. Dabei ist es doch gerade sie, die mit den Beispielen Frauke Brosius-Gersdorf, Wehrdienst, Rente und anderem dieses Oppositionsspiel in der Koalition praktiziert.

Doch nicht dieses innere Geplänkel in der Koalition wird das Ende der CDU/CSU mit sich bringen, sondern die harten Realitäten in einer Welt im Wandel. Gerade erst haben die europäischen »Willigen« der NATO gegen das aggressive Russland erneut einräumen müssen, dass sie dem von ihnen zum Krieg befohlenen Land nicht mehr bieten als eine billige Referenz mit dem König. Ob sie die russischen Gelder dafür einsetzen können, wird weiter diskutiert. Bundeskanzler Friedrich Merz wird sich entscheiden müssen, ob er weitere Milliarden in den Kriegstopf wirft und dafür weitere Sozialmaßnahmen kürzt – denn darauf läuft seine arrogante Politik der antirussischen Konfrontation hinaus. Er wird dabei ebenso Schiffbruch erleiden, wie sein Außenminister Johann Wadephul, der glaubte, eine kurz bevorstehende Chinareise mit ein paar Grobheiten im Herrenmenschenton glaubte einleiten zu können – und dafür eine Abfuhr erhielt. Wo die neue Regierung gegenwärtig agiert, fährt sie eine Niederlage nach der anderen ein.

Gewiss, die Union wird ihren Niedergang noch eine Weile hinauszögern können, vor allem, weil die SPD immer wieder einknicken und nachgeben wird. Am Ende wird das aber wenig nützen, denn die AfD steht zur Übernahme der Regierungsgeschäfte bereit – und es gibt bei CDU und CSU genug, die zusammen mit ihr das Land in ein rechtskonservatives Konglomerat führen wollen. Es ist ihnen dabei letztlich egal, ob sie sich dann noch christlich nennen sollen. Sie sehen sich als jene, die die Macht behalten, die endlich das Sagen haben wollen. Sie sehen sich im eigentlichen Grund als Alternative für Deutschland.

 

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