(pri) Bei der Bundestagswahl gab es erfreuliche linke Zugewinne, doch am allgemeinen Rechtstrend ändert das (noch?) nichts.
Man kennt das aus dem persönlichen Leben. Es ist eine Entscheidung zu treffen, und die angebotenen Alternativen können allesamt nicht befriedigen. Dies und das spricht für jede, aber so viel immer auch dagegen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die hohe Wahlbeteiligung bei den gestrigen Bundestagswahlen von 82,5 Prozent ein ermutigendes Zeichen dafür, dass die Wähler ihre Verantwortung verstanden haben und mitentscheiden wollten; auch das Resultat in seiner Differenziertheit bestätigt insofern das Unwohlsein des Souveräns.
Dabei ist der Wahlsieger CDU/CSU keiner, der jubeln kann. Nicht einmal drei von zehn Wählern entschieden sich für die Union; es ist ihr zweitschlechtestes Ergebnis und vor allem: Sie weiß dieser eigenen Schwäche wegen nicht, mit wem sie ihre vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampf umsetzen soll. Friedrich Merz ist für die übergroße Mehrheit der Deutschen kein Kanzler ihres Vertrauens. Er hat dies nicht nur, aber vor allem durch sein Zugehen auf die AfD in der Migrationsfrage verschuldet – nicht so sehr wegen der gemeinsamen Abstimmung mit den Rechtsextremen, sondern vor allem, weil er deren inhaltliche Positionen beinahe eins zu eins übernommen hat; die AfD konnte gar nicht anders, als diesem, ihrem Programm zuzustimmen. Nun wird abzuwarten sein, inwieweit andere Parteien mit Blick auf lockende Ministersessel bereit sind, Merz auf diesem Weg zu folgen.
Die AfD konnte ihr Ergebnis von 2021 mehr als verdoppeln und wird – wie schon 2017 – stärkste Oppositionspartei. Sie hofft aber, dass sie mit einem Programm, wie es offensichtlich auch Merz vorschwebt, gebraucht wird und dass vor allem konservative Kräfte aus der Unionsbasis dafür Druck machen und der gleichfalls konservative Kanzlerkandidat dem am Ende nachgibt– wie er es ja bereits einmal tat.
Denn mit der SPD allein wird Friedrich Merz nicht regieren können. Sie hat dass ihr seit langem vorausgesagte schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Mit seinem sturen Glauben an einen erneuten Wahlsieg hat Olaf Scholz jenen mangelnden Realitätssinn, den er schon 2022 beim Ausrufen der »Zeitenwende« und später auch innenpolitisch mit dem weitgehenden Nachgeben gegenüber dem antisozialen Kurs der FDP bewies, einmal mehr demonstriert. Versprechungen der SPD glauben immer weniger ihrer einstigen Stammwähler; weit über eine Million wechselte jetzt zur Linkspartei und zum BSW.
Ganz ähnlich ging es den Grünen, die in der Ampelkoalition Position um Position aufgaben, auch und gerade solche, die sie einst groß gemacht hatten – die Friedenspolitik, wenigstens das Gespür für soziale Ungerechtigkeiten und am Ende sogar wesentliche Aspekte ihrer Umweltpolitik. Offensichtlich sind sie unter Führung von Habeck und Baerbock entschlossen, diesen Kurs fortzusetzen und Merz aus der Klemme zu helfen – und dies ausgerechnet unter Hinweis auf die von den USA und Russland auf den Weg gebrachten und von ihnen abgelehnten Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges in der Ukraine.
Das angesichts der aktuellen Lage ehrliche Ergebnis der Bundestagswahl setzt sich fort mit dem Erfolg der Linken in ihren beiden Varianten, der Linkspartei und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW). Dabei hatte die Linkspartei das bessere Konzept, indem sie sich auf ihre Wurzeln und ihr Erfolgsrezept als radikal linke Kraft besann, die auch das Wort »Klassenkampf« nicht mehr scheute. Das Abdriften von diesem Kurs hin zu »Gendern« und »Woken« hätte ihr fast das Genick gebrochen; dass es Wagenknecht war, die auch deswegen mit ihrer einstigen Partei brach und sie in der Folge zur Umkehr veranlasste, ist nicht zuletzt das Verdienst der verwünschten Konkurrentin – ein ironischer Nebenaspekt des Wiederaufstiegs der Linken.
Das BSW hat es hingegen nicht in den Bundestag geschafft, doch die 4,97 Prozent sind ein angesichts seiner kurzen Geschichte riesiger Erfolg. Es hat mehr verspielt, weil es sich in der Migrationspolitik zu sehr Union und AfD annäherte. Das BSW ist immerhin aus der Linkspartei hervorgegangen, für die die internationale Solidarität zur DNA gehört. Das hat Wagenknecht verkannt und folglich ihr Bündnis versäumt, viel stärker die Defizite bei der Integration Flüchtender hierzulande zu benennen und dazu eigene Ideen einzubringen und zugleich die Bekämpfung der Fluchtursachen zu artikulieren; letzteres ist schließlich nichts anderes als die Übertragung sozialer Verantwortung über das eigene Land hinaus ins Internationale.
Während sich also für Linkspartei wie BSW das allgemeine Unwohlsein der Wähler eher ins Positive materialisierte, sind die so genannten Parteien der Mitte künftig mit den Folgen solcher Bauchschmerzen konfrontiert. Sie werden vermutlich eine Regierung bilden müssen, in der die Widersprüche nicht kleiner sind als in der Ampelkoalition. Das könnte manchen zur Schadenfreude verleiten, was aber dem Ernst der Lage nicht gerecht wird. Denn unter dem Strich versammelte sich hinter den Rechtsparteien CDU,CSU und AfD fast die Hälfte der Wählerschaft, und die opportunistisch Schwankenden der früheren Ampel kamen auf weitere mehr als 30 Prozent. Man muss also befürchten, dass angesichts solcher Elternschaft beinahe zwangsläufig die Missgeburt einer stark rechtsgerichteten Koalition zur Welt gebracht wird.
Das Wahlergebnis dürfte also das allgemeine Unwohlsein im Lande nicht beseitigt, sondern eher noch gesteigert haben.